Das Zeugesein ist euer Wesen
Frage: Was sind die Unterschiede – und gegebenenfalls die Gemeinsamkeiten – zwischen Latihan und Selbsthypnose?
Latihan ist eine gute Technik, kommt aber der Dynamischen Meditation näher als der Selbsthypnose. Ihre Funktion besteht darin, dich in einen Zustand völliger Hingabe an die Existenz zu versetzen und deine gesamte Körperenergie in Bewegung zu setzen, nicht so, wie dein Verstand, sondern der Weltgeist es will.
Stell dich einfach in einem leeren Raum hin, entspannt, mit geschlossenen Augen und warte ab. Und plötzlich merkst du, wie deine Hand sich bewegt oder dein Kopf … dann brich es nicht ab und geh einfach mit. Übertreib es auch nicht. Wenn die Hand sich nur so viel bewegt, dann belass es dabei, sonst bist du schon wieder zum Macher geworden.
Latihan ist ein Loslassen. Deine Körperenergie stimmt sich ganz auf die universelle Energie ein, und im Körper beginnt alles mögliche zu passieren: Du magst tanzen, magst dich um deine eigene Achse drehen, deine Hände, deine Beine mögen sich zu bewegen beginnen. Du magst Worte formulieren ohne zu wissen, was sie bedeuten oder ob sie etwas sagen wollen, oder einer fremden Sprache angehören, die du nicht kennst.
Doch du darfst dich nicht einmischen, weder den Prozess abbrechen noch ihm nachhelfen, denn das würde nur stören. Du musst alles sich selbst überlassen – und das erscheint gefährlich, wenn es zum ersten Mal passiert. So erging es dir, als du (in der Dynamischen) Angst hattest wahnsinnig zu werden, denn du wirst wahnsinnig wirken. Plötzlich streckst du ohne Grund die Zunge raus oder reckst grundlos den Kopf, springst, tanzt, machst seltsame Verrenkungen, die du dir nie hättest träumen oder ausdenken können.
Aber schon ein vierzigminütiger Latihan wird dir ein unglaubliches Wohlgefühl verleihen. Nichts anderes hätte dir dieses Wohlgefühl geben können. Und wenn man noch etwas hinzufügt, was nicht zum Latihan gehört. Darum musste ich die Dynamische Meditation erfinden – die besteht aus dem Latihan plus noch etwas mehr, weil man im Latihan völlig verloren ist. Darum möchte ich, dass ihr Zeuge bleibt. Seid keine Macher, peitscht euch nicht an, erzwingt nichts, verhindert nichts … Das Einzige, was im Latihan fehlt – es ist eine indonesische Technik – nur eines fehlt darin, und zwar der Zeuge, weil es ohne den Zeugen gefährlich werden kann.
Latihan hat sich für viele als gefährlich entpuppt. Man könnte nach vierzig Minuten nicht aufhören; der energetische Wirbelsturm mag zu stark sein. Man mag Angst kriegen und nicht aufhören können. Man mag sich völlig erschöpfen, wenn man es länger macht. Und wenn man sich zu sehr erschöpft – es ist eine enorme physische Anstrengung – kann man, statt sich wohlzufühlen, in Ohnmacht fallen. Und beim Aufwachen findet man sich nicht erfrischt, sondern spürt, wie der ganze Körper wehtut. Es wird einem nach Übergeben zumute sein, der ganze Magen ist durcheinander. Man fühlt sich nicht gestärkt, sondern geschwächt. Und manch einer ist sogar davon verrückt geworden – es hörte einfach nicht auf.
Und die Gefahr ist … weil du dabei nicht Zeuge warst, kann es dich plötzlich unvorbereitet überkommen – auf der Straße, im Laden, egal wo. Du hast die Technik nicht in der Hand, weil du dabei nicht Zeuge geblieben warst. Es stand niemand darüber. Jede Situation also kann ihn auslösen – überall, egal wo – und das wird erst recht befremdlich und fehl am Platz wirken. Wenn ihr das abzustellen versucht, wird es befremdlich wirken, und wenn ihr es geschehen lasst, wird es noch befremdlicher wirken.
Also bin ich nicht dafür, den Latihan allein zu machen. Es ist eine gute Technik, aber man muss gleichzeitig Zeuge sein, so dass man aufhören kann, wann man will, anfangen kann, wann man will, damit man es egal wo machen kann, jederzeit, auch für sich. Und wenn der Zeuge wacht, dann löst der Köper seine Verspannungen, streift er alle Verspannungen ab.
Es mag euch überraschen, dass unser Körper ebenfalls Spannungen speichert: z.B. wolltest du jemanden schlagen, hast es aber nicht getan. Dein Körper war gerade davor, deine Muskeln waren bereit … denn euer Körper und seine Muskeln werden mental gesteuert. Du wolltest den Kerl schlagen, deine Hand hatte sich schon zur Faust geballt – aber ihr seid immer gespalten. Eure Religionen sagen: „Das darfst du nicht, das ist gewaltsam. Lass das!”
So sagt die eine Stimme in dir: „Das ist kriminell. Du bringst dich nur in Schwierigkeiten.“ Und eine andere Stimme sagt: „Gib ihm Saures … Aber der Kerl ist stärker als du. Er wird es nicht lammfromm hinnehmen und Tschüss sagen und nach Hause gehen. Er wird auf dich springen und dich grün und blau schlagen. Muss das denn sein?!”
Aber deine Hand war parat. Die Energie war in deine Muskeln, deine Finger, deine Hand gefahren. Egal, aus welchem Grund du die Bremse zogst – Gewaltlosigkeit, Angst vor deinem Vorgesetzten, deinem Chef – aus irgendeinem Grund hast du abgebrochen. Aber wohin jetzt mit der Anspannung?
Deine Hand war bereit; die Energie kann nicht zurück. Es gibt kein System, das eine Energie, die sich eben zum Ausdruck bringen wollte, wieder dahin zurückbringt, wo sie hergekommen ist. Sie bleibt in deinem Handgelenk, deinen Fingern, deiner Hand stecken. Diese Art Energie sammelt sich überall in deinem Körper an – darum funktioniert Latihan. Denn da wird diese Art Energie wiederbelebt und du magst einen Gegner schlagen, der gar nicht da ist.
Aber der Zeuge darf auf keinen Fall fehlen, damit dein Körper all die gespeicherten Spannungen freisetzen kann und du dich erfrischt, herrlich wohl fühlen wirst. Zweitens haben diese vierzig Minuten des Zeugeseins sogar noch einen wichtigeren Grund: denn so wirst du leichter erkennen können, dass du nicht dein Körper bist, du nicht am Steuer sitzt und weder etwas tust noch etwas verhinderst. Du erkennst, dass das überhaupt nichts mit dir zu tun hat, sondern von selber läuft. So gewinnst du leichter Abstand. Hierin ist die Dynamische Meditation dem Latihan überlegen.
Der Latihan kann jemandem helfen, der körperlich nicht sehr verspannt ist, der seelisch nicht viel verdrängt hat, aber solche Leute sind heute kaum noch zu finden. Es ist eine alte Technik. Heutzutage ist jeder voller Verspannungen. Das war früher anders. Erst vor zwanzig Jahren wurde Latihan zu einer weltweiten Bewegung und jeder war begeistert, aber seither ist er langsam verschwunden. Das ging nicht anders, denn er schuf mehr Probleme, als er löste. Er machte mehr Leute wahnsinnig, als dass er half.
Das Entscheidende fehlte, einfach weil der Mann, der den Latihan in die Welt brachte, völlig unabsichtlich darauf gestoßen war: Als er sich einmal allein im Wald aufhielt, sah er sich urplötzlich seltsame Verrenkungen machen – und ließ es zu. Aber er war nicht sehr verspannt. Er war ein einfacher Mann – er war Holzfäller und solche Leute sind immer einfach.
Ein Holzfäller sammelt keinerlei Gewalt in sich an. Er übt, wenn er Holz fällt, tagtäglich so viel Gewalt aus, dass sich in seinen Händen nie Impulse ansammeln können, jemanden zu schlagen. Holzfällern, Fischern, Bauern – solchen Leuten kann Latihan nicht schaden, weil ihr Körper sich sowieso ständig ausarbeitet. Also bleibt nichts übrig. Nach zehn oder fünfzehn Minuten ist der Latihan vorbei und sie fühlen sich wohl. Und bei ihrer Art von Arbeit darf er sie ruhig auf ihrem Hof oder auf dem See oder im Wald überraschen … es ist kein Problem, wenn der Latihan von sich aus kommt.
Aber mitten unter Leuten – wenn es in deinem Büro passiert und du plötzlich auf deinen Schreibtisch springst und anfängst Latihan zu machen, wird sofort die Polizei gerufen. Der Latihan wird dich hinter Gitter bringen, und du wirst keinem Menschen erklären können, dass das etwas Spirituelles ist! Niemand wird dür deine Spiritualität Verständnis haben – es war ein Tobsuchtsanfall – da hätte alles passieren können! Du bist ein gefährlicher Typ!
Es wird deshalb so viel Energie unterdrückt, weil die Leute in der modernen Zivilisation den ganzen Tag auf ihrem Stuhl sitzen. Dafür ist unser Körper nicht gedacht. Der Mensch ist letztlich ein Jäger. Sein Körper war dazu gedacht, fliehendes Wild zu verfolgen. Habt ihr mal Rehe laufen sehen? Sie fliegen wie ein Pfeil, und die Jäger schafften es ihnen zu folgen! Unser Körper war für Schwerarbeit gedacht – acht Stunden, zwölf Stunden – da kam ein verspannter Körper gar nicht erst infrage. Latihan wäre für diese Leute das Richtige gewesen. Ein paar Minuten hätten genügt, und sie wären erfrischt wie nach einer Dusche; der moderne Mensch dagegen …
Ihr sammelt so viel an, dass ihr stundenlang mit dem Latihan weitermachen könntet – und du hättest keine Kontrolle mehr darüber, weil du dich dabei selber völlig aufgegeben hast. Du darfst es nicht anhalten, du darfst gar nichts machen, also bist du praktisch im Zustand eines epileptischen Anfalls. Und du wirst stundenlang weitermachen, bis du hinfällst, vielleicht ins Koma, und ohnmächtig wirst. Wenn du wieder aufwachst, bist du vielleicht verrückt oder fühlst du dich vielleicht pudelwohl, aber das ist Zufall – und ich möchte nicht, das ihr das dem Zufall überlasst.
Da seid ihr mit dem Zeugen besser dran, der jederzeit eingreifen kann, der euch letztlich das Heft in der Hand behalten lässt und das letzte Wort hat, so dass es euch nicht irgendwo überraschen kann. Dann wird euer Körper davon profitieren – mit allem, was der Latihan zu geben vermag; und wenn ihr vierzig Minuten lang Zeuge sein könnt, wird das euch selber zu einem großen Segen gereichen.
Der Latihan wird bald vergessen sein, aber das Zeugesein wird euch auf immer und ewig begleiten – es ist euer Wesen.
Aus: The Path of the Mystic (Der Weg des Mystikers), Kap. 4