Liebe – der goldene Schlüssel zur Transformation
Frage an Osho
Liebe ist die einzige irdische Erfahrung, die überirdisch ist. Zweifel, Scham, Angst, Selbstverdammung – all das löst sich im Mysterium deiner Liebe auf. Was sagst du dazu?
Osho
Liebe ist die größte Alchimie, die es gibt – die tiefgründigste Transformationswissenschaft. Wer liebt, dessen gesamte Energie konzentriert sich auf einen einzigen Punkt. Zweifel verzehrt Energie, Scham verzehrt Energie, Angst verzehrt Energie, Selbstverdammung … all das zehrt an eurer Energie.
Wenn ihr nicht liebt, dann leben all diese Dinge munter in euch weiter, päppelt ihr sie. Kaum aber geschieht das große Wunder der Liebe, stürzen sich all diese Energien auf die Liebe, so wie sich alle Flüsse ins Meer stürzen. Der Zweifel geht leer aus, und ohne Energie ist er tot. Nur eure Energie hat ihn am Leben erhalten.
Scham und Angst und Selbstverdammung, sie alle zehren von eurer Energie, eurer Unterstützung. Ihr bildet euch ein, sie loswerden zu wollen, aber im Grunde unterstützt ihr sie; sonst könnten sie nicht existieren. Sie sind Parasiten.
Die Liebe nimmt eure ganze Energie in Beschlag – für etwas anderes ist keine mehr da. Darum hat außer der Liebe sonst nichts Bestand. Das ist eigentlich ein ganz einfaches Phänomen; ihr braucht nur zu verstehen, dass die Liebe eine Magnetkraft besitzt, die dem Zweifel, der Scham, der Angst und der Selbstverdammung fehlt.
Liebe ist euer Innerstes, und all diese Dinge sind von außen gekommen. Eure Zweifel gehen auf diejenigen zurück, die euch angehalten haben zu glauben. Wer nicht glaubt, kann auch nicht zweifeln. Habt ihr je darüber nachgedacht?
In einer Zwergschule erklärt die Lehrerin den kleinen Jungen und Mädchen, was dazu gehört, um in Gottes Königreich zu gelangen. Sie geht bis in alle Einzelheiten, damit sie verstehen können, dass man nur in den Himmel kommt, wenn man aufhört zu sündigen. Und hinterher fragt sie: „So, wer von euch kann mir jetzt sagen, was nötig ist, um in den Himmel zu kommen?“
Ein kleiner Junge meldet sich. Alle staunen, denn er hat sich noch nie von selber gemeldet; es ist zum ersten Mal. Die Lehrerin freut sich und sagt: „Ja? Bitte sag uns, was nötig ist, um in den Himmel zu kommen!“ Der Junge sagt: „Zuerst muss man sündigen.“ Die Lehrerin darauf: „Wie bitte? Eine Stunde lang hab ich mir den Mund fusselig geredet, um euch klarzumachen, dass man aufhören muss zu sündigen, und du behauptest, man müsse sündigen?!“
Der Junge erwidert: „Na, um mit dem Sündigen aufzuhören, muss man ich doch erst einmal sündigen! Ohne zu sündigen kann niemand in den Himmel kommen. Also ist die Reihenfolge: sündigen, dann damit aufhören und dann in den Himmel kommen.“
Der Zweifel rührt daher, dass man gezwungen wurde, zu glauben. Wer ohne ein Glaubenssystem aufgewachsen ist, wird auch nicht zweifeln. So haben zum Beispiel alle Christen, Muslime, Hindus ihre Zweifel an Gott, weil man ihnen eingetrichtert hat, dass es einen Gott gibt. Aber sie haben keinen Beleg, keinen Beweis, kein Argument, keinen Augenzeugen, und sie selbst haben kein Gefühl für Gott. Ihr Glaube weckt Zweifel in ihnen. Aber es gibt auch Religionen wie den Buddhismus, Taoismus oder Dschainismus ohne einen Glauben an Gott; der gehört nicht zu diesen Religionen dazu.
Mit ist noch kein Dschaina oder Buddhist begegnet, der die Existenz Gottes bezweifelt. Wie kann man auch zweifeln, wenn man nicht glaubt? Das klingt zwar seltsam, ist es aber nicht. Ein Glaube ein Bestreben, euren Zweifel zu unterdrücken. Folglich stößt man unter jedem Glauben auf Zweifel. Aber wenn kein Glaubenssystem da ist, kann es auch nirgendwo Zweifel geben.
In Ländern wie die Sowjetunion oder China, wo es Himmel und Hölle nicht gibt, zweifelt niemand. Ein Freund von mir besuchte einmal die Sowjetunion, und aus purer Neugier – er war Professor an der Universität von Varanasi – fragte er bei einem Spaziergang im Garten seines Gastgebers dessen kleinen Sohn: „Was ist deine Vorstellung von Gott, Himmel und Hölle?“
Der Junge lachte und sagte: „Früher, als das Volk noch unwissend war, glaubten alle an solche Dinge; heute schert sich kein Mensch mehr darum. Sie gehören einer toten Vergangenheit an.“ Der Junge zweifelt nicht. Er ist absolut klar. Glaubenssätze führen zu Zweifeln. Ihr werdet von Anfang an dazu erzogen, euch für dieses und jenes zu schämen; niemand akzeptiert euch in eurer schlichten Natürlichkeit. Daher kommt die Scham, und mit ihr die Angst, etwas falsch zu machen, euch zu verirren, den Anschluss zu verpassen – obwohl es gar keinen Zug gibt, den ihr verpassen könntet. (…)
Alle Religionen leben von Angst; sie jagen jedem Kind Angst ein. Und so wird die Angst zu eurem Grundgefühl, seid ihr nie ganz bei der Sache, zögert ihr ständig,: „Mach ich es richtige? Werde ich dafür belohnt oder bestraft? Komme ich Gott damit näher oder entferne ich mich von ihm?“ Jeder Schritt ist voller Angst. Und weil das so ist, haben euch die Religionen ausbeuten können.
Ein angstloser Mensch ist nicht ausbeutbar. Er richtet sich nach seinem eigenen Licht. Er hat seinen unverkennbar eigenen Lebensstil, nicht geborgt, von niemandem aufgezwungen.
Niemand hat euch so akzeptiert, wie ihr seid. Und weil jeder einen anderen aus euch machen wollte, als ihr seid, habt ihr euch auch noch angewöhnt, euch selbst zu verdammen: „Immer bin ich ein Versager, ziele ich zu kurz, trifft mein Pfeil nicht ins Schwarze!“
Eine uralte Geschichte erzählt von einem großen König, der auch ein großartiger Bogenschütze war. Und er bildete sich ein, konkurrenzlos zu sein. Einmal aber, als er zu einem anderen Herrscher reiste und auf seinem goldenen Thron in seiner goldenen Kutsche sitzend durch ein Dorf kam, erlebte er eine ungeheure Überraschung. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl: „Vielleicht gibt es ja in diesem winzigen Dorf noch einen besseren Bogenschützen als mich und ich habe nur noch nicht von ihm gehört” – denn an jedem Baum, auf allen Zäunen steckten Pfeile genau in der Mitte einer Zielscheibe.
Offenbar hatte der andere Schütze nie daneben geschossen. Er erkundigte sich bei den Leuten. Er ließ halten und fragte: „Wer ist dieser Schütze?“, aber alle lachten nur. Er sagte: „Was gibt es da zu lachen? Ich liebe das Bogenschießen und ich möchte diesen Mann auszeichnen! Bisher nämlich hielt ich mich selber für den größten Bogenschützen – auch wenn ich bisweilen daneben schieße. Aber hier sehe ich an jedem Baum eine selbstgemalte Zielscheibe, in deren Mitte ein Pfeil steckt!“
Sie sagten: „Wir lachen deswegen, weil dieser Bogenschütze unser Dorfidiot ist.” Der König darauf: „Wie bitte? Idiot? So wie er schießt, ist er ein Genie – holt ihn her!“ Sie erwiderten: „Eure Majestät missverstehen. Erst schießt er, und hinterher malt er eine Zielscheibe um den Pfeil. Von wegen Bogenschießen! Aber er ist immer fröhlich, und fast jeder, der hier durchkommt, erkundigt sich nur nach diesem Idioten und nach niemandem sonst. Seine Zielscheiben sind überall zu sehen. Er macht ja nichts anderes, das ist sein Geschäft. Er trifft nicht ins Schwarze, sondern egal wo der Pfeil steckt, malt er einen exakten Kreis um ihn herum, damit er immer in der Mitte ist!”
„Fahrt also weiter, und kümmert Euch nicht um ihn. Er ist nur ein Idiot und sonst nichts. Wir haben ihm gesagt: ,Wenn du ein Bogenschütze sein willst, erlerne die Kunst.’ Er hat gesagt: , Wozu denn? Ein Bogenschütze kann ins Schwarze treffen – ob die Zielscheibe vorher oder hinterher gemacht wird, ist doch egal. Ich jedenfalls treffe immer ins Schwarze!’“ Diese Gesellschaft kann nur verdammen. Egal, was ihr seid, es ist inakzeptabel: Bessert euch! Nach und nach infiziert ihr euch mit der Seuche der Selbstverdammung.
Liebe jedoch ist ein Wunder. Wenn sie kommt und euch mit Haut und Haar packt, könnt ihr keine Energie mehr erübrigen für Angst, für Selbstverdammung, für Zweifel, für Traurigkeit, für Elend, für Unsicherheit. Und sobald sie alle Energie verschlingt, sind all diese Begriffe nur noch Leichen, die euch nicht mehr im Griff haben.
Daher sage ich euch: Liebe ist der goldene Schlüssel zur Transformation. Aber es darf keine oberflächliche, gewöhnliche Liebe sein. Sie darf nicht so gering sein, dass neben ihr auch noch Zweifel existieren kann, Selbstverdammung, Unglück, Hass auch noch existieren kann; denn eure Liebe benötigt nur ganz wenig Energie. Sie muss euer ganzes Leben ausmachen. Sobald eure Liebe praktisch euer ganzes Leben ist, wird sie zu Andacht.
Für mich gibt es kein anderes Gebet, als eine Liebe, die von dir so restlos Besitz ergreift, dass in deinem Innern kein Raum mehr für etwas anderes ist. Die Liebe benötigt allen Raum, also musst du dein Inneres gründlich ausmisten. Eine große Liebe ist das einzige Gebet, das einzig wahre Gebet. Und Jesus hat Recht, wenn er sagt: „Gott ist die Liebe.“ Nur bedarf es einer kleinen Verbesserung; denn zweitausend Jahre lang blieb die Aussage dieselbe. Aussagen wachsen nicht mit der Evolution des Bewusstseins: Also müssen wir sie verändern, ihnen höhere Dimensionen verleihen.
Jesus sagt: „Gott ist Liebe.“ Ich möchte zu euch sagen: „Liebe ist Gott.“ An der Oberfläche werdet ihr nicht viel Unterschied erkennen, aber das macht einen großen Unterschied. „Gott ist Liebe“ besagt, dass er noch vieles andere mehr sein kann, nicht nur Liebe … Er kann gerecht sein, er kann allmächtig sein, er kann allwissend oder allgegenwärtig sein … Liebe deckt nicht alles ab, was er ist; Liebe ist nur ein Attribut Gottes unter anderen. Aber wenn man daraus „Liebe ist Gott“ macht, dann wird Gott zu einem Attribut der Liebe.
Und Liebe hat keine anderen Attribute. Liebe ist die einzige irdische Erfahrung, die überirdisch ist, die nicht von dieser Welt ist – die einzige Erfahrung, die euch einen Geschmack vom Jenseits geben kann. Gott lässt sich nicht beweisen, weil er ein Attribut der Liebe ist. Aber Liebe lässt sich beweisen. Liebe kann nicht nur bewiesen werden, sondern sogar gelebt werden. Und wer die Liebe lebt, wird wissen, dass damit etwas Göttliches in ihn gefahren ist: Er ist kein gewöhnlicher Sterblicher mehr. Etwas in ihm, in seinem Bewusstsein, ist über sein Menschsein hinausgegangen. Und dieses Jenseitige, dieser Geschmack vom Jenseitigen ist der einzige Beweis und der einzige Beleg für etwas, das die Leute „Gott“ genannt haben.
Mir selbst ist das Wort „das Göttliche“ lieber, weil das Wort „Gott“ abgenutzt und tot klingt … eingefroren, so als könnte Gott nicht weiterwachsen, als hätte er seinen Endpunkt erreicht. „Das Göttliche“ aber ist eine Eigenschaft, wie ein fließender Strom, der mehr und mehr anschwellen kann, keine Grenze zu haben braucht. „Gott“ ist begrenzt, „das Göttliche“ ist grenzenlos. Und da das Göttliche eine Eigenschaft ist, braucht ihr es nicht anzubeten, sondern müsst es entfalten. Ihr braucht keine Götterstatuen anzufertigen – das ist ausgeschlossen. Und ihr könnt nicht direkt zum Göttlichen gelangen, weil es ein Attribut der Liebe ist. Dies alles ergibt sich daraus: Ihr könnt euch Gott und die Kirchen und die organisierten Religionen allesamt aus dem Kopf schlagen.
Kein Mensch hat es bisher gewagt, die Existenz der Liebe zu leugnen. Nahezu die halbe Menschheit leugnet die Existenz Gottes; aber es hat noch niemanden gegeben, noch keinen einzigen Menschen, der die Existenz der Liebe leugnet. Denn die Liebe ist ein Saatkorn in eurem Herzen, das ihr wachsen lassen könnt. Und wenn sie schließlich aufblüht, wenn es Frühling wird und die Blüten zu duften anfangen, werdet ihr wissen, was das Göttliche ist: Es folgt der Liebe auf dem Fuße wie ein Schatten.
Man hat euch seltsame Dinge abverlangt: „Liebe Gott!“ – dabei ist Gott nur eine Eigenschaft der Liebe. Eine Dummheit wie „Liebt Gott!“ bringe ich nicht über die Lippen. Ich kann nur sagen: „Liebt, und Gott wird euch finden. Liebt, und im selben Maße, wie eure Liebe reift, wird sie zu etwas Übermenschlichem, zu etwas Göttlichem werden.
Es geht um keinen Glauben. Ihr könnt nicht an Gott glauben. Und an die Liebe braucht ihr nicht zu glauben – denn die Liebe könnt ihr erfahren. Im Tempel der Liebe –der innersten Stille ihres Tempels, der Geräumigkeit ihres Tempel –, ist das Göttliche.
Doch sämtliche Religionen haben euch auf eine widerwärtige Art und Weise verschrobene Vorstellungen in den Kopf gesetzt. Andernfalls könnte Religion so einfach sein … genau wie Musik oder Poesie oder Gesang oder Tanzen. Die Liebe sollte den Ton angeben. Und Gott könnt ihr euch aus dem Kopf schlagen… das wird ganz von selber kommen, wenn es euch gelingt, voll von Liebe zu sein – so voll, das ihr überfließt.
Andernfalls könnt ihr weiterhin glauben.
Erst gestern hörte ich folgenden kleinen Witz: Was sind die drei Beweise dafür, dass Jesus Jude war? Erstens: Er lebte noch mit dreiunddreißig Jahren bei seiner Mutter. Zweitens: Er hielt seine Mutter für eine Jungfrau; und drittens; seine Mutter hielt ihn für den Sohn Gottes.
Lasst jüdische Mammas glauben, dass ihre Söhne Götter sind ; aber einfach nur dadurch, dass irgendwer oder ihr selbst an Gott glaubt, kann Gott nicht entdeckt werden. Bitte versteht zutiefst, dass Gott keine Person ist, sondern nur eine Präsenz. Wenn ihr vor lauter Liebe überfließt, strahlt ihr eine Präsenz aus. Sie ist nicht mit Händen zu greifen, aber ihr könnt sie spüren.
Diese Präsenz enthebt euch der Welt der Menschen und versetzt euch in die Welt der Ewigkeit, Unsterblichkeit, befreit euch von all den Lügen, die die Religionen verbreitet haben und öffnet euch die Augen für die nackte Wahrheit der Existenz.
Aus: The Razor's Edge, Chapter #24