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Diskurse

Alleinsein und Beziehung

von Osho

Muss man sich zunächst mit seiner eigenen Einsamkeit abfinden, bevor man eine Beziehung eingeht?

Ja. Du musst dich zunächst mit deiner Einsamkeit abfinden, und zwar in dem Sinne, dass aus der Einsamkeit Alleinsein geworden ist. Erst dann wirst du fähig sein, eine zutiefst bereichernde Beziehung einzugehen. Erst dann wirst du fähig sein, dich auf Liebe einzulassen. Was aber ist damit gemeint, wenn ich sage, dass man sich mit seiner Einsamkeit abfinden muss, damit sie zu Alleinsein wird?
Einsamkeit ist ein negativer Gemütszustand. Alleinsein ist positiv, ganz egal, was die Wörterbücher behaupten. In den Wörterbüchern bedeuten Einsamkeit und Alleinsein dasselbe, sind sie Synonyme; nicht aber im Leben. Einsamkeit ist ein Gemütszustand, in dem man ständig den andern vermisst, und Alleinsein ist der Gemütszustand, wo du ständig an dir selber genug hast. Einsamkeit ist unglücklich, Alleinsein ist selig. Einsamkeit ist immer besorgt, immer bedürftig, voller Sehnsucht nach etwas, Verlangen nach etwas. Alleinsein ist tiefe Erfülltheit, in sich ruhend, ungeheuer zufrieden, glücklich, glückselig. Wer einsam ist, ist aus dem Lot; wer allein sein kann, ist ausgewogen, weiß, wo er hingehört. Alleinsein ist herrlich. Es hat eine gewisse Eleganz oder Anmut, eine enorm zufriedene Ausstrahlung. Einsamkeit ist armselig; sie ist eine einzige Bettelei und sonst nichts. Sie hat keinerlei Anmut. Im Grunde ist sie abstoßend. Einsamkeit ist eine Art Abhängigkeit; Alleinsein ist reinste Unabhängigkeit. Man hat das Gefühl, eine ganze Welt, eine ganze Existenz für sich zu sein.
Wenn du also eine Beziehung eingehst, weil du einsam bist, dann wirst du den andern ausbeuten. Der andere wird nur ein Werkzeug sein, um dich zu befriedigen. Du wirst den andern benutzen und wer will schon benutzt werden? Niemand ist dazu hier, um einem andern als Werkzeug zu dienen. Jeder Mensch ist ein Selbstzweck. Niemand ist dazu da, um benutzt zu werden wie ein Ding; jeder ist dazu da, um angebetet zu werden wie ein König. Niemand ist dazu da, um die Bedürfnisse irgendeines andern zu erfüllen, jeder ist dazu du, um einfach er selber zu sein. Wann immer du also aus Einsamkeit eine Beziehung eingehst, ist die Beziehung bereits gescheitert. Sie ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Schon vor seiner Geburt ist das Kind tot. Dadurch kannst du nur noch unglücklicher werden. Und noch etwas: Wenn du aus Einsamkeit eine Beziehung eingehst, wirst du bei einem Partner landen, dem es genauso furchtbar geht wie dir. Denn niemand, der tatsächlich sein Alleinsein lebt, wird sich zu dir hingezogen fühlen. Denn er ist dir überlegen. Er kann dich allenfalls bemitleiden, aber er kann dich nicht lieben. Wer selbst auf dem Gipfel seines Alleinseins steht, fühlt sich nur zu jemandem hingezogen, der ebenfalls allein sein kann. Wann immer du also aus deiner Einsamkeit heraus agierst, wirst du einen Mann finden, der dir gleicht, wirst du irgendwo dein eigenes Spiegelbild finden. Zwei Bettler werden sich begegnen, zwei Unglücksraben werden sich begegnen. Und vergiss nicht: Wo zwei Unglückliche zusammenkommen, ist das keine einfache Summe, sondern eine Multiplikation. Das Unglück, dass dabei entsteht, ist sehr viel größer, als das, was entstanden wäre, wenn sie einsam geblieben wären.
 
Lerne zunächst, allein zu sein. Lerne zunächst, dich selbst zu genießen, dich selber zu lieben. Werde zunächst so authentisch glücklich, dass es völlig egal ist, ob du jemanden findest oder nicht – da du so voll bist, dass du überfließt. Wenn keiner bei dir anklopft, ist das völlig in Ordnung – DIR fehlt nichts. Du wartest nicht darauf, dass jemand kommt und bei dir anklopft. Du bist daheim. Wenn einer kommt, gut, wunderbar! Wenn keiner kommt, ist das auch wunderbar und gut.
Jetzt kannst du eine Beziehung eingehen. Jetzt bist du dein eigener Herr und kein Bettler mehr. Jetzt bist du wie ein Kaiser, nicht wie ein Bettler. Und wer gelernt hat allein zu sein, wird sich zu jemandem hingezogen fühlen, der ebenfalls sein Alleinsein zu genießen versteht, denn „Gleich und Gleich gesellt sich gern!“ Wenn sich zwei Selbstständige treffen – die ihr eigenes Leben, ihr Alleinsein beherrschen, verdoppelt sich das Glück nicht nur, sondern multipliziert sich. Ab jetzt beginnt ein gewaltiges Fest. Und sie beuten einander nicht aus, sondern teilen alles. Sie benutzen einander nicht. Vielmehr werden beide verschmelzen und die Existenz um sich her genießen.

    Zwei Einsame stehen sich stets fordernd gegenüber. Zwei Menschen, die das Alleinsein kennengelernt haben, schauen gemeinsam auf etwas Höheres als sie beide. Ich führe immer folgendes Beispiel an: Zwei gewöhnliche Liebende, alle beide einsam, starren stets aufeinander; zwei wahrhaft Liebende dagegen stehen in einer Vollmondnacht nicht voreinander. Sie mögen sich an den Händen halten, aber sie werden zum Vollmond aufschauen, hoch oben am Himmel. Sie stehen sich nicht gegenüber, sondern schauen gemeinsam auf etwas anderes. Mal lauschen sie gemeinsam einer Musik, von Mozart oder Beethoven oder Wagner; mal sitzen sie an einen Baum gelehnt und genießen es, wie die gewaltige Präsenz des Baumes sie umfängt. Oder sie sitzen an einem Wasserfall und lauschen dem wilden Getöse, das dort ununterbrochen rauscht. Oder auch am Meer, wo sie in die unendliche Ferne schauen, wo weit das Auge reicht. Wann immer zwei Einsame zusammenkommen, beäugen sie sich gegenseitig, weil sie ununterbrochen nach Mitteln und Wegen suchen, wie sie einander ausbeuten können: „Wie kann ich den andern benutzen, wie kann er mich glücklich machen?“ Zwei Menschen dagegen, die zutiefst mit sich selber zufrieden sind, wollen einander gar nicht benutzen. Vielmehr werden sie zu Reisegefährten: Sie treten eine Pilgerreise an, mit einem hohen Ziel, einem weit entfernten Ziel. Ihre gemeinsamen Interessen verbinden sie.
Gewöhnlich ist Sex das gemeinsame Interesse. Sex kann zwei Menschen verbinden – kurzfristig und beiläufig und ausgesprochen oberflächlich. Wahrhaft Liebende haben ein größeres gemeinsames Interesse. Das heißt nicht, dass kein Sex da ist; er mag da sein, ist aber Teil einer höheren Harmonie. Sie lauschen der Symphonie von Mozart oder Beethoven, sie mögen einander so nahekommen, ganz nahe, so nahe, dass Liebe da ist.  Sie mögen miteinander Liebe machen, aber mit der Tiefe und Harmonie einer Symphonie von Beethoven. Ihnen geht es um die Symphonie; der Liebesakt spielt eine untergeordnete Rolle. Und wenn die Liebe von selber kommt, unaufgesucht, unbeabsichtigt, sich einfach einstellt als Teil einer höheren Harmonie, bekommt sie eine völlig andere Qualität: Sie wird himmlisch, sie ist nicht mehr irdisch.
Das Wort happiness, Glück, kommt von dem skandinavischen Wort hap, so wie auch das Wort happening. Glück ist das, was von selber geschieht. Man kann es nicht erzeugen, man kann es nicht herbeizitieren, man kann es nicht zwingen. Man kann sich allenfalls für es öffnen. Es kommt, wann immer es kommt.
Die wahren Liebenden sind jederzeit offen, ohne je darüber nachzudenken, ohne je zu glücklich werden zu wollen. So sind sie nie frustriert, denn es kommt, wenn es kommt. Sie stellen die Situation dafür her. Ja, wer mit sich selber zufrieden ist, hat die Situation bereits hergestellt, und wenn der Partner auch noch mit sich selber zufrieden ist, gilt das auch für ihn oder sie. Wenn diese beiden Bereitschaften zusammenfinden, stehen die Chancen besser. In dieser größeren Bereitschaft kann viel passieren – aber ohne jede Absicht.
 
Der Mensch braucht nichts zu tun, um glücklich zu sein. Der Mensch braucht nur mit dem Strom mitzugehen und loszulassen.

    Deine Frage lautet also: Muss man sich zunächst mit seiner eigenen Einsamkeit abfinden, bevor man eine Beziehung eingeht? Ja. Ja, unbedingt. So muss es sein, denn sonst wirst du enttäuscht sein – und im Namen von Liebe etwas anderes tun, das alles andere ist als Liebe.  

 

Aus: Come Follow To You, Vol. 4, #6

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