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Diskurse

Steh dem andern bei, aber überlass ihn seiner eigenen Bestimmung.

von Osho

Frage an Osho

Du hast gesagt: „Lehren ist die beste Möglichkeit zu lernen“, hast aber auch gesagt: „Die Welt ist deswegen so unreligiös, weil es zu viele Prediger gibt.“  Könntest du bitte über den feinen Unterschied zwischen „anderen helfen“ und „andere ändern wollen“ sprechen? 
 
Osho

Es ist ein riesiger Unterschied und absolut ausschlaggebend, ob du „jemanden ändern“ oder „ihm helfen“ willst. Wenn du jemandem helfen willst, hilfst du ihm, er selbst zu sein; wenn du jemanden ändern willst, machst du aus ihm einen Abklatsch. Er selbst ist dir völlig schnuppe. Du hast eine bestimmte Ideologie, eine fixe Idee, ein Ideal und du willst ihn gemäß deinem Ideal ummodeln. Das Ideal ist dir wichtiger, der wirkliche Mensch zählt überhaupt nicht.   

Tatsächlich ist es glatte Gewalt, jemanden gemäß einem Ideal verändern zu wollen. Es ist Aggression, es steckt die Absicht dahinter, den anderen zu zerstören. Es ist keine Liebe, es ist kein Mitgefühl. Mitgefühl lässt den anderen immer er selbst sein. Mitgefühl hat keine Ideologie, Mitgefühl ist rein atmosphärisch. Es erteilt dir keine Anweisungen, es ist einfach nur für dich da. Dann kommst du in Bewegung. Dann kann dein Saatkorn seiner eigenen Natur gemäß aufsprießen. Dann will dir niemand etwas aufzwingen. 

Wenn ich sage: „Geht und helft anderen“, meine ich: Helft ihnen, sie selbst zu sein. Wenn ich sage: „Die Welt ist so unreligiös, weil es zu viele Prediger gibt“, meine ich, dass zu viele Leute versuchen, andere nach ihrer eigenen Ideologie zu verändern, zu bekehren, umzumodeln. Die Idee darf nicht wichtiger sein als der Mensch. Selbst die ganze Menschheit ist nicht wichtiger als ein einziger Mensch. Die Menschheit ist eine Idee; der einzelne Mensch ist eine Wirklichkeit. 

Vergiss die Menschheit, denk an den Menschen – ¬den wirklichen, den konkreten, den Menschen aus Fleisch und Blut. Es ist sehr leicht, Menschen für die Menschheit zu opfern. Es ist sehr leicht, Menschen für den Islam, das Christentum, den Hinduismus zu opfern; es ist sehr leicht, sie für die Idee von Christus, Buddha, Mahavir zu opfern. Hilf, aber opfere nicht! Wer bist du, irgendwen aufzuopfern? Jeder Einzelne ist ein Zweck in sich. Benutze ihn nicht als Mittel. 

Das meint Jesus, wenn er sagt: „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat“: Alles ist für den Menschen gemacht; der Mensch ist der höchste Wert. Selbst Gott, die Gottesidee, ist für den Menschen da, nicht der Mensch für die Gottesidee. Opfert alles dem Menschen, aber opfert den Menschen nicht, egal wofür. Dann hilft man. 

Wenn man anfängt, den Menschen zu opfern, dann hilft man dem andern nicht, sondern zerstört, verkrüppelt man ihn – ist man gewalttätig, ist man ein Verbrecher. Somit sind all eure so genannten Mahatmas, die euch nur „bessern“ wollen, Verbrecher. Man braucht einfach nur zu lieben, zu helfen, bereitwillig, bedingungslos zu geben. 

Steh dem andern bei, aber überlass ihn seiner eigenen Bestimmung. Diese Bestimmung ist unbekannt; niemand weiß, was da blühen soll. Gib kein Muster vor, sonst wird die Blume erstickt. Und vergiss nicht, dass jeder einzelne unverwechselbar ist: Es hat diesen Menschen noch gegeben und es wird ihn auch nie wieder geben. Gott wiederholt sich nie, er ist kein Automat. Er erfindet immerzu neu. 
Wenn du jemanden nach dem Beispiel von Jesus formen willst, wirst du zerstörerisch sein. Jesus lässt sich nie und nimmer wiederholen. Und wozu auch? Einer ist wunderbar, viele wären nur langweilig. Versuche nie, irgendwen zu einem Buddha zu machen. Lass ihn werden, wer er ist: Das ist seine Buddhaschaft. Und weder du noch er selbst weiß, was in ihm steckt. Nur die Zukunft kann es zeigen. Und wenn er in seiner Blüte steht, wirst nicht nur du überrascht sein – er selbst wird überrascht sein. In jedem steckt eine Blüte von unbegrenztem Potenzial und Talent, von unbegrenzter Möglichkeit. 
Hilf, unterstütze, liebe. Akzeptiere den anderen und gib ihm das Gefühl willkommen zu sein. Mach ihm kein Schuldgefühl, schau nicht verächtlich auf ihn herab. Jeder, der ihn zu verändern sucht, macht ihm Schuldgefühle und die sind Gift. 
Wenn jemand sagt: „Sei wie Jesus!“, hat er dich abgelehnt als den, der du bist. Wenn jemand dir einreden will, wie jemand anders zu sein, wirst du nicht akzeptiert, bist du nicht willkommen, störst du nur. Du bist nicht liebenswert, es sei denn, du wirst erst jemand anders. Was soll das für eine Liebe sein, die dich zerstört und zur Bedingung macht, dass du dich verfälschst, unauthentisch wirst …?

Du kannst nur als du selbst authentisch sein. Alles andere wäre Heuchelei, alles andere wären nur Charaktermasken, Rollenspiele, aber nicht dein wahres Wesen. Du kannst in der Rolle eines Buddhas einherschreiten, aber das wird nie von Herzen kommen. Es wird nichts mit dir zu tun, überhaupt keine Verbindung mit dir haben. Es wird nur aufgesetzt sein. Ein Gesicht, aber niemals deins. 
 
Wer also versucht, aus dir einen anderen zu machen und sagt: „Erst wenn du zum Buddha wirst oder Christus, werde ich dich lieben …“, der liebt nicht dich. Er mag in Christus verliebt sein, aber dich hasst er. Und seine Liebe zu Christus kann auch nicht sehr tief gehen, denn würde er Jesus wirklich lieben, hätte er die konkrete Einmaligkeit jedes Menschen verstanden.

Liebe heißt tief verstehen. Wer je einen Menschen geliebt hat, sieht alles plötzlich mit ganz anderen Augen. Jetzt kann er ganz klarsehen. Wenn du Jesus je geliebt hast, dann kann kommen, wer will: Du wirst diesen Mitmenschen in seiner Wirklichkeit sehen, sein ganzes Potential hier und jetzt. Dann wirst du diesen Menschen lieben, wirst du ihm helfen, das zu werden, was in ihm steckt – und wirst nicht etwas anderes erwarten. Jede Erwartung ist ein Werturteil, jede Erwartung ist eine Ablehnung, jede Erwartung ist eine Verwerfung. Du wirst ihm einfach nur deine Liebe schenken – um keines Lohns, keiner Ergebnisse willen. Du wirst ihm einfach nur helfen, ohne irgendeine Zukunft vor Augen. 
 
Wenn Liebe ohne jede Zukunft fließt, ist sie eine enorme Energie. Wenn Liebe ohne Motiv fließt, hilft sie – und zwar besser als alles sonst. Sobald du fühlst, dass auch nur ein einziger Mensch dich so akzeptiert, wie du bist, fühlst du dich in deiner Mitte, fühlst du dich nicht unerwünscht in dieser Existenz. Eine Menschenseele zumindest akzeptiert dich vorbehaltlos. Das gibt dir Boden unter den Füßen, dann ruhst du in dir, hast du das Gefühl daheim zu sein. Und je mehr du dich daheim fühlst, desto näher bist du Gott – denn in deinem innersten Herzen ist er. Wenn du dir selber nahe bist, bist du ihm nahe. Wenn du in dir ruhst, ruhst du in ihm.  
Je weiter du von dir selbst entfernt bist, desto weiter entfernt bist du von Gott. Der Abstand zwischen dir und deinem Selbst ist der Abstand zwischen dir und Gott und es gibt keinen anderen Abstand. Wer sagt: „Werde ein anderer!“, treibt dich von Gott weg. Dann wirst du ein Heuchler werden, wirst du Masken tragen. Du wirst Rollen spielen, Charakter simulieren … und tausend andere Dinge, aber du wirst keine Seele haben. Das Wesentliche wird dir fehlen. Du wirst nichts Bewusstes sein, sondern eine Fata Morgana: eine hohle Nuss, nicht authentisch.

Wenn ich also sage: „Helft ihnen, unterstützt sie!“, will ich euch damit nicht den Floh ins Ohr setzen, sie zu belehren, sondern will damit nur sagen: Hüllt die Leute einfach nur in ein Klima ein. Lasst sie, wo immer ihr hinkommt, etwas von Liebe und Mitgefühl spüren und helft jedem, er selbst zu sein.
Das ist das Schwierigste von der Welt – einem andern zu helfen, er selbst zu sein; denn das widerstrebt deinem Ich, deinem Ego. Dein Ich würde die Leute lieber zu seinen Nachahmern machen. Du hättest es gern, wenn alle dich nachahmten; du wärst gern der Archetypus, dann müssten sie dir alle nacheifern. Dann könne dein Ich sich endlich zufriedengeben. Du würdest selbst die Vorgabe sein, nach der sich jeder einfach nur richten muss. Du wirst der Mittelpunkt und alle anderen werden zum Abklatsch.
Nein, deinem Ich ist der Gedanke daran zuwider. Es möchte, dass andere so werden wie du. Aber wer bist du, irgendwen zu ändern? Übernimm diese Verantwortung nicht! Das ist gefährlich; da kommen die Adolf Hitlers her. Die übernehmen die Verantwortung für die Veränderung der ganzen Welt nach ihrem Gutdünken.  

Zwischen einem Mahatma Gandhi und einem Adolf Hitler ist ein himmelweiter Unterschied. Aber im Kern unterscheiden sie sich überhaupt nicht, weil beide die Absicht haben, die Welt nach ihrem Gutdünken zu verändern. Der eine mag Gewalt einsetzen, der andere mag gewaltlos vorgehen, aber beide haben ihre Methoden, andere zu verändern: Der eine mit gezücktem Messer, der andere mit der Drohung: „Wenn ihr nicht auf mich hört, werde ich unbefristet fasten!“ Der eine mag drohen euch zu töten und der andere mag drohen: „Wenn ihr mir nicht folgt, töte ich mich selbst!“, aber beide setzen Gewalt ein, beide stellen eine Situation her, die euch zwingen soll etwas zu werden, das ihr nicht werden wollt, das ihr im Traum nie werden wolltet. Alle beide sind Politiker. Weder liebt Hitler euch noch liebt Gandhi euch. 

Gandhi spricht zwar von Liebe, aber er liebt nicht. Er kann gar nicht lieben, weil ihm seine Idealvorstellung – das Ideal, dem ihr entsprechen sollt – einen Strich durch die Rechnung macht. Andere lieben kann man nur auf eine Art und Weise: sie so lieben, wie sie sind.
 
Und das Schöne ist: Dass sie sich, wenn du sie so liebst wie sie sind, ganz von selbst verändern. Zwar nicht gemäß deinen Vorgestellungen, aber gemäß ihrer Wirklichkeit. Wenn du sie liebst, transformiert sie das. Nicht bekehrt – transformiert: Sie werden neu, sie erklimmen höhere Seinsstufen. Aber das geschieht aus ihrem Sein heraus, das geschieht gemäß ihrer Natur. 
Hilf anderen natürlich zu sein, hilf anderen frei zu sein, hilf anderen sie selber zu sein und versuche nie jemanden zu zwingen, ihn hin und herzuschieben und zu manipulieren. Das sind egoistische Methoden. Und alle Politik ist nichts anderes als das.


     Come follow unto you, Band 2

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