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Interviews

Fühlen ist keine Fremdsprache

Mit Halima und Sudhir

Fühlen ist keine Fremdsprache. Beim Path of Love geht es ganz wesentlich um ein Berühren und Spüren, um ein Öffnen des Herzens. Ende Oktober dieses Jahrs startet dieser intensive Prozess wieder in Deutsch. Geleitet wird er von Halima, Sudhir und Veeto. Wir wollten von Halima und Sudhir wissen, was helfen kann, wieder mit der Sprache des Herzens in Kontakt zu kommen. 

Interviewer: Wofür ist es eigentlich gut, zu spüren? Tut das nicht vor allem weh, oder kann ich auch lernen, nur das Schöne wahrzunehmen?

Halima: Das gibt’s nur im Paket! Spüren ist Spüren. Wir spüren mit unserem Herzen – und natürlich ist das auch der Platz, wo wir unsere Verletzungen wahrnehmen. Daher kommt auch unsere Angst, zu spüren: Wir versuchen uns vor dem Schmerz zu schützen, indem wir zumachen. Doch wenn wir wirklich in Kontakt mit uns sein wollen, geht kein Weg daran vorbei, auch diesen Bereich wieder zu öffnen. Ansonsten ist unser Herz auch für die schönen Seiten des Lebens verschlossen.

Du sagst aber auch, dass Nicht-Spüren ein Schutz ist. Und so ein Schutz kann ja auch sinnvoll sein?
Halima: Das stimmt! Wir haben diesen Schutz aufgebaut, als wir noch sehr klein waren. Damals drohten uns Verletzungen zu überfluten – vielleicht haben wir sie sogar als lebensbedrohlich erlebt. Da war es also durchaus sinnvoll, sich vor dieser Flut zu schützen. Nur ist das eben ein Mechanismus, der ständig weiter genährt wird. Denn auch in unserer Gesellschaft ist das Tapfersein gefragt, und verletzlich zu sein ist nicht gerade ein geschätzter Wert. Und dann kommt die nächste Verletzung und wir machen weiter zu, um uns zu schützen. Nur bedeutet das eben auch, dass wir von unserer Gefühlswelt getrennt sind. Und so sind wir auch von allen positiven Gefühlen abgeschnitten: von der Liebe, von der Verbindung mit anderen und zur Existenz. Es ist also ein Schutz, der einen hohen Preis hat.

Sudhir: Du stellst die Frage nach dem Sinn des Spürens und Fühlens an einen deutschen Ingenieur und ehemaligen Maschinenbauer. (lacht) Ich war also von meiner Grundstruktur immer ein sehr rationaler Mensch. Für mich war Fühlen eine Fremdsprache, die ich zu Hause nie gelernt habe. Denn auch meine Eltern haben sehr selten ihre Gefühle ausgedrückt. Für mich hatte das Fühlen meistens mit etwas Unangenehmem zu tun: erste Erfahrung von gebrochenem Herzen und mangelndem Selbstwertgefühl. Also war meine Strategie: Fühlen möglichst vermeiden! Und auch als ich in Pune meine ersten Gruppen machte, war für mich Fühlen etwas, das halt sein musste.

Warum hast du dann überhaupt Gruppen gemacht, wenn du nicht fühlen wolltest?

Sudhir:  Weil ich gemerkt habe, dass sie mir gut tun. Aber meine Einstellung war: Im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung muss Fühlen halt sein. Es war also keine positive, freiwillige Entscheidung, sondern eher das Gefühl: Ich muss etwas in Ordnung bringen. Ich brauche das für mein Wachstum!
Da hat mir dann der Path of Love eine vollständig andere Dimension eröffnet. Ich kann mich an den Moment erinnern, wo die Einsicht kam, dass ich es liebe, zu fühlen. Das war ein Durchbruch! Das war für mich eine der schönsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe: völlig aufgelöst in Tränen, in Lachen – tanzend, voller Lebenslust.

Halima, hattest du ein ähnliches Erlebnis, was dir den ­Zugang zum Fühlen und Spüren ermöglich hat?

Halima: Für mich als Frau ist das Fühlen von Emotionen zunächst mal eher akzeptiert. Ich hatte also ein anderes Image zu vertreten. Nach dem Motto: „Ich kann das allein! Ich schaffe das!“ Aber das war kein wirkliches Annehmen. Da gab es noch sehr viele Projektionen: „Draußen ist der Feind. Ich fühle mich schlecht, weil … mein Mann, meine Beziehung mir etwas Böses wollen.“ Das Fühlen war also eine Reaktion auf etwas von außen. Beim Path of Love (PoL) konnte ich die Verantwortung dafür nach Hause holen: Es sind meine Gefühle! Das war für mich ein Schlüssel zur Freiheit. In der Zeit, als ich den PoL machte, stand ich mit dem Gesicht gegen die Wand. Ich wusste nicht mehr weiter. Und da war es für mich eine großartige Erfahrung, diese Gefühle des Isoliertseins und der Verzweiflung nach innen zu holen. Das ist meins und das hat nichts mit der Außenwelt zu tun. Für all diese Gefühle selbst die Verantwortung zu übernehmen und sie liebevoll und akzeptierend zu umarmen, das war für mich transformierend.

Für euch beide war der Path of Love ein Durchbruch zu ­einem anderen Umgang mit euch selbst und euren Gefühlen. Wie nachhaltig war dieses Erlebnis?

Sudhir: Das ist eine gute Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist. Für mich hat sich beim PoL etwas Grundlegendes geändert, aber manchmal geht mir das im Alltag verloren. Es gibt also manchmal Phasen, wo ich den Kontakt dazu verliere, aber dennoch ist seither eine Grundströmung von Dankbarkeit in mir. Ich sehe mehr die kleinen Dinge des Lebens, die ich vorher nicht so beachtet habe, und freue mich daran. Das kann in der Natur sein, wenn ich in den Himmel schaue oder wenn ich mit Freunden zusammen bin und mich über die Nähe mit ihnen freue. Ich nehme mehr wahr, wie viel mir das Leben dauernd schenkt.

Halima: Für mich ist geblieben, dass ich für mein Fühlen die ganze Verantwortung übernehme, was auch immer ich bei mir wahrnehme. Rumi hat ein sehr schönes Gedicht dazu geschrieben, das habe ich mir über den Schreibtisch gehängt. Da heißt es:

Dieses Menschsein ist ein Gasthaus. Jeden Morgen ein Neuankömmling. Eine Freude, eine Bedrückung, eine Gemeinheit, irgendeine flüchtige Bewusstheit kommt hereingeschneit. Begrüße und bewirte sie alle!

Und so versuche ich alle Gefühle, die kommen, als Gast zu begrüßen. Da ist ein Stück Freiheit und eine Tiefe, die ich gefunden habe. Ich fühle mich so ganz anders mit dem Leben verbunden. Da hat sich etwas um 180 Grad gedreht.

Ihr leitet den PoL mittlerweile als Therapeuten. Es ist ja ein sehr intensiver Prozess über sieben Tage. Was ist, wenn die Teilnehmer am Montag danach in ihren Alltag zurückkehren – wie viel können sie dann mit in ihren Alltag nehmen?

Sudhir: Es ist sicher eine Herausforderung für alle, das, was sie beim PoL erleben, in ihren Alltag zu transportieren. Ganz wichtig finde ich daher, dass wir auch nach der Gruppe Unterstützung zur Integration geben. Wir halten gerade im ersten Monat nach der Gruppe intensiven Kontakt mit den Teilnehmern, um ihnen bei der Integration des Erlebten zu helfen. Das war eine der großen Veränderungen, die in den letzten Jahren beim PoL passiert sind, dass wir darauf viel mehr Gewicht legen. Das andere ist die Eigenverantwortung. Da geht es darum, dass man sich immer wieder die Zeit nimmt, das Erlebte wachzurufen und sich zu erinnern. Und sei es durch eine einfache Meditation oder wie bei Halima durch ein Gedicht. Ich habe dafür meinen „Dankbarkeits-Stein“. Ein kleines, ganz gewöhnliches Steinchen, das ich am Strand gefunden habe. Den habe ich jetzt seit Jahren immer bei mir. Und immer, wenn ich Momente habe, wo ich in einer Krise stecke oder irgendein Mist passiert, nehme ich dieses Steinchen und versuche das wachzurufen, was ich in dieser Gruppe erlebt habe. Das hilft mir bis heute.

Bei unserem Titel-Thema geht es auch um ein Berühren, ­gerade in einer körperlich, sinnlichen Weise. Manche Leute empfinden die „Umarmerei“ in unserer Szene eher als ­unangenehm. Ist so ein Empfinden okay oder muss es ­therapiert werden?

Halima: Natürlich ist das okay! Für meine Arbeit ist die Akzeptanz dessen, was ist, die Basis. Und in dem Moment, wo ich akzeptieren kann, was ich fühle, geschieht etwas Magisches. Mein System kann entspannen und ich brauche nicht anders zu sein. Wer bin ich denn als Therapeutin, dass ich weiß, was für jemand anderen stimmen soll?! Das kann jeder nur für sich selbst herausfinden und das kann er nur, wenn alles okay ist, was er fühlt. In diesem Prozess des Akzeptierens wird die Person, die keine Berührung mag, vielleicht neugierig auf etwas anderes. Vielleicht aber auch nicht. Mein Job ist es, einen Raum zu schaffen, wo alles sein darf, was der Teilnehmer erlebt.

Sudhir: Es gibt da ein wunderschönes Lied von Miten: „All is welcome here!“
Das finde ich ganz wichtig für unsere Arbeit, dass es da keine Erwartungshaltung und kein „Sollte“ gibt. Wir sind eben unterschiedlich: Der eine ist extrovertiert und draufgängerisch, ein anderer ist vielleicht eher schüchtern. Und jeder darf so sein, wie er ist. Deswegen ist es für uns als Therapeuten immer sehr wichtig, zu gucken: Habe ich irgendwelche persönlichen Ideen, die ich auf andere übertragen will? Oder kann ich alle so lassen, wie sie sind? Ohne Ideale, Doktrinen oder spirituelle Zielsetzungen. Dieses Alles-Willkommen-heißen ist für mich ein ganz praktischer Ausdruck von Liebe.

Der Ansatz ist also nicht: „Ich muss anders werden!“, ­sondern: „Ich akzeptiere, wie ich bin!“ Auch wenn ich dann vielleicht merke, dass ich sehr weit von meinen Gefühlen und jeder Sinnlichkeit entfernt bin.

Halima: Das ist doch der Hammer, das zu spüren! Dann spürst du vielleicht, dass dein Herz wie eine Blume ganz geschlossen ist. Und du spürst, wie sich das anfühlt. Und wenn das sein darf, hast du auch die Chance zu gucken, wie es ist, wenn sich die Blume langsam öffnet.

Sudhir: Wenn ich mir gegenüber die Einstellung habe, dass ich anders sein muss, erzeugt das einen ganz großen inneren Stress. Ich spalte mein Leben in „richtig“ und „falsch“. Wenn ich diese Teilung aufgeben kann, weil da plötzlich eine Brücke ist, kann sehr viel Lebensenergie freigesetzt werden. Deswegen ist der PoL auch so leidenschaftlich, weil da so viel Lebendigkeit ins Fließen kommt. Und der erste Schritt zu dieser Leidenschaft ist, dass ich mein eigener Freund werde. Ich glaube, dass alle Menschen irgendwo spüren, dass etwas ganz anderes möglich ist. Dass da eine große Sehnsucht ist, wieder wirklich zu fühlen und sich berühren zu lassen. Guck dir ein Baby an, wie sinnlich es sich berühren lässt. Wie es das genießt! Da gibt es noch keine Grenzen, noch keine Abgrenzung. Und dann passieren im Laufe unserer Kindheit und später eine Menge Dinge, die uns von dieser sinnlichen Lebendigkeit entfernen. Doch wir alle tragen noch die Erinnerung an diesen Zustand in uns. Der PoL ist ein Erinnern an dieses Ursprüngliche. Da geht eine Tür auf. Und wenn diese Tür aufgeht, mache ich die Entdeckung, dass ich verbunden bin: mit anderen Menschen, mit dem Leben an sich und dem Göttlichen. Du musst es nicht allein schaffen, denn du bist nicht abgekoppelt von den anderen. Du bist ein Teil von etwas sehr Großem. Das ist eine Erfahrung, die das Leben grundlegend verändern wird.

Halima: Und du kannst dich der Frage stellen: Lebe ich wirklich mein Leben? Lebe ich mein Potenzial? Vielleicht bin ich morgen tot – und dann? Habe ich gelebt oder bin ich nur im Trott mit gelaufen? Wenn ein Mensch anfängt, sich diese Fragen zu stellen, ist das sehr wertvoll. Natürlich können dadurch auch viele Unsicherheiten entstehen, wenn ich zum Beispiel merke, dass die Arbeit, mit der ich mein Geld verdiene, mir eigentlich gar nicht entspricht. Da kommen viele Ängste hoch, aber ich mache einen Schritt auf die Wahrheit zu. Und alles, was zur Wahrheit führt, ist auch riskant, weil es womöglich den sicheren Rahmen sprengt.

Glaubst du, dass dort, wo eine große Sehnsucht ist, auch ein großes Potenzial da ist?

Halima: Ja! Für mich ist diese Sehnsucht in unserem Herzen wie eine Taschenlampe, die uns den Weg zeigt. Ich hatte in mir immer so etwas wie Heimweh. Und als ich meinem Herzen gefolgt bin, habe ich erfahren, dass ich hierher gehöre und Teil von etwas Großem bin.     
 

Artikel Oshotimes / Ausgabe Juni 2014
web | www.oshotimes.de

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