Gib dein Verlangen nach Stärke auf
Frage an Osho: Ich bin ein Schwächling. Aber zum allerersten Mal habe ich das Gefühl, dass ich mich hier in meine Schwachheit hinein entspannen kann. Muss ich stark und mutig sein?
Osho: Hier gibt es kein Muss. Alles Sollte, Muss, Hat-zu muss aufhören! Erst dann wird ein natürliches Wesen aus dir. Und was ist verkehrt daran schwach zu sein? Jeder ist schwach. Wie kann man stark sein, wenn man ein Teil ist – der Teil ist zwangsläufig schwach.
Und wir alle sind winzige Teilchen, nichts als Tropfen in diesem unendlichen Ozean. Wie können wir da stark sein? – und stark gegen wen? stark wozu? Ja, ich weiß, man hat euch eingeredet, stark sein zu müssen; denn man hat euch zur Gewalt, zur Aggression, zum Kämpfen erzogen. Man hat euch dazu angehalten stark zu sein, weil man euch eingeschärft hat zu konkurrieren, ehrgeizig und egoistisch zu sein. Man hat euch in jeder Hinsicht dazu erzogen aggressiv zu sein, denn man hat euch dazu erzogen andere zu überwältigen, die Natur zu vergewaltigen. Man hat euch nicht zur Liebe erzogen.
Hier bei mir ist die Botschaft Liebe – wozu also brauchst du Stärke? Die Botschaft hier ist Hingabe. Die Botschaft hier ist Akzeptanz – uneingeschränkt alles zu akzeptieren, was gerade los ist.
Schwäche ist schön! Entspann dich in sie hinein, akzeptiere sie, genieße sie! Sie hat ihre eigenen Schönheiten, ihre eigenen Freuden.
„Ich bin ein Schwächling…"
Bitte, benutze gar nicht erst dieses Wort „Schwächling”, denn darin schwingt Verdammung mit. Sag: „Ich bin nur ein Teil“ – und ein Teil ist notgedrungen hilflos. Für sich genommen, ist ein Teil notgedrungen machtlos. Ein Teil erstarkt erst mit dem Ganzen. Deine Stärke besteht darin, auf der Seite der Wahrheit zu sein; und eine andere Stärke gibt es nicht. Die Wahrheit ist stark – wir sind schwach; Gott ist stark – wir sind schwach. Mit ihm erstarken auch wir; gegen ihn, ohne ihn sind wir schwach. Kämpfe gegen den Fluss an, versuche gegen den Strom zu schwimmen und du wirst als Schwächling überführt. Lass dich mit dem Strom treiben und flussabwärts tragen – du brauchst noch nicht einmal zu schwimmen … lass dich einfach nur völlig los und lass dich vom Fluss dahin tragen, wo er hin will, und es kann überhaupt keine Rede von Schwäche sein. Sobald du es aufgegeben hast stark sein zu wollen, ist keine Schwäche mehr da. Beides verschwindet zusammen, und dann bist du plötzlich weder schwach noch stark. Genauer gesagt: Du bist gar nicht mehr da. Dann ist Gott – weder schwach noch stark.
Du sagst: „Aber zum allerersten Mal habe ich das Gefühl, dass ich mich hier in meine Schwachheit hinein entspannen kann.”
Ein gutes Gefühl. Hefte dich an seine Fersen! Ein richtiges Gefühl: Entspanne dich – ich lehre nichts anderes: Entspanne dich in dein Wesen hinein, egal wer du bist. Zwinge dir keine Ideale auf. Mach dich nicht selber verrückt, das ist nicht nötig. Sei nur – hör auf zu werden! Wir sind nirgendwohin unterwegs, sondern einfach nur hier. Und dieser Augenblick ist so schön – welch ein Segen! Du darfst ihm mit keiner Zukunft kommen, sonst machst du ihn nur kaputt. „Zukunft” ist Gift. Entspanne dich und genieße. Wenn ich dir dazu verhelfen kann dich zu entspannen und zu genießen, ist meine Arbeit getan. Wenn ich dir dazu verhelfen kann, auf all deine Ideale zu pfeifen – also auf deine Vorstellungen, wie du sein hast und wie nicht, wenn ich dir alle Gebote wieder wegnehmen kann, die man dir je gegeben hat, dann ist meine Arbeit getan. Und wenn du ohne alle Gebote dastehst, und wenn du gelernt hast aus dem Augenblick heraus zu leben – natürlich, spontan, einfach, gewöhnlich – dann findet ein großes Freudenfest statt, bist du heimgekehrt!
Komm jetzt also nicht wieder damit … „Muss ich stark und mutig sein?” Wozu? Nur die Schwäche möchte gern stark sein.
Versuche das zu verstehen. Es ist zwar ein wenig knifflig, aber lass es uns untersuchen: Nur Schwäche möchte gern stark sein; nur Minderwertigkeit möchte gern überlegen sein, nur Dummheit möchte gern neunmalklug sein – um sich hinter Wissen zu verstecken, um ihre Schwäche hinter angeblicher Macht zu verstecken. Der Wunsch überlegen zu sein entspringt dem Gefühl der Minderwertigkeit. Das ist das Fundament aller Politik auf der Welt, aller Machtpolitik. Nur die Minderbemittelten werden Politiker: Es drängt sie zur Macht, weil sie wissen, dass sie sonst nichts bringen. Nur wenn sie es schaffen, Präsident oder Kanzler eines Landes zu werden, können sie sich anderen beweisen. Für sich genommen fühlen sie sich schwach; sie treiben sich selber zur Macht.
Aber wie kannst du mächtig werden, indem du Präsident wirst? Insgeheim wirst du wissen, dass deine Schwäche vorhanden ist. Ja, du wirst sie sogar noch deutlicher spüren als bisher, denn inzwischen ist ein Kontrast da. Nach außen hin wirst du mächtig wirken, aber innerlich wirst du dich schwach fühlen, und zwar deutlicher also sonst: so wie der Silberrand einer schwarzen Wolke. So wird es sein: Innen fühlst du dich arm und beginnst zu raffen, wirst habgierig, eignest dir alles mögliche an, und dann ist kein Ende abzusehen und es hört einfach nicht mehr auf. Und dein ganzes Leben wird an Dinge verschwendet, für mehr und mehr Besitz.
Aber je mehr du anhäufst, desto quälender spürst du die innere Armut. Sie sticht deutlich von deinem Reichtum ab. Sobald du das siehst – dass da nur Schwäche ist, die stark werden will –, wird es absurd. Wie könnte Schwäche stark werden? Wenn du das erkennst, willst du nicht stark werden. Und wenn du nicht mehr stark werden willst, kann die Schwäche nicht in dir bleiben. Sie kann nur mit der Vorstellung von Stärke weiter existieren – weil beide zusammengehören wie der negative und der positive Pol beim elektrischen Strom. Sie koexistieren. Wenn du diesen Ehrgeiz aufgibst, stark sein zu wollen, stellst du eines Tages plötzlich fest, dass auch die Schwäche verschwunden ist. Sie hat keinen Halt mehr in dir. Wie kannst du, wenn du die Vorstellung fallen lässt, reich zu werden, dich noch länger für arm halten? Arm im Vergleich wozu? Du kannst deine Armut mit nichts mehr vergleichen. Wenn du das Wunschbild des Reichtums – reich zu werden – verwirfst, dann verschwindet irgendwann auch die Armut.
Wie kannst du, wenn du keinen Wissensdurst mehr hast und nicht mehr neunmalklug sein willst, noch unwissend bleiben? Wenn das Wissen verschwindet, dann verschwindet – in seinem Fahrwasser, in seinem Schatten – auch die Unwissenheit. Dann ist ein Mensch weise. Weisheit hat nichts mit Wissen zu tun; Weisheit ist die Abwesenheit von sowohl Wissen als auch Unwissenheit.
Es gibt nur drei Möglichkeiten: Du kannst unwissend sein, du kannst unwissend und neunmalklug sein und du kannst ohne Unwissenheit und Wissen sein. Die dritte Möglichkeit ist das, was man unter „Weisheit” versteht; sie ist das, was Buddha prajnaparamita nennt – die jenseitige Weisheit, die transzendente Weisheit. Die ist kein Wissen.
Gib als erstes dieses Verlangen nach Stärke auf – und beobachte. Eines Tages stellst du überrascht fest – und fängst an zu tanzen: Die Schwäche ist weg! Das sind nur die beiden Seiten derselben Medaille: Sie existieren zusammen, sie gehören zusammen. Kaum bist du in deinem Sein zu dieser Tatsache durchgedrungen, wirst du Zeuge einer großen Transformation.