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Interviews

Vom Warten auf den Bus, der niemals kommt

Mit Ramateertha

Ein Gespräch mit Ramateertha R. Doetsch Therapeut, Leiter und Gründer des
Osho UTA Instituts, über Berg- und Talfahrten des Lebens

von Ishu Lohman und Anandi Wohlgemuth

Ishu & Anandi: Beziehung am Ende, Verlust des Arbeits­platzes, der spirituelle Meister stirbt … Das sind Situa­tionen, die heftige Krisen auslösen können, weil ein schützender Rahmen zerbricht. Was kann uns in solchen Situationen helfen?

Ramateertha: Ich halte nichts davon, solche Zustände als Krise zu bezeichnen. Wenn wir von einer Krise sprechen, hängt da meist eine massive Wertung dran: Die Umstände sollten anders sein. Wir wollen nicht akzeptieren, was ist. Dann geht es um „Krisenin­ter­vention“. Dahinter steht der Gedanke, alles möge doch wieder in geordneten Bahnen verlaufen. Und diese Ordnung, die wir dann künstlich herzustellen versuchen, ist genau das, was uns von der Un­mittelbarkeit des Augenblicks trennt. Ein Beispiel: In jeder Beziehung gibt es Zeiten, wo viel Intimität und Nähe zwischen den Partnern ist, und andere Zeiten, wo man sich dem anderen gegenüber fremd fühlt. Da ist eine Bewe­gung wie das Pendel: Es schwingt hin und her. Wenn du dann sagst, ich bin in einer Krise, weil das Pendel umgeschlagen ist, wirst du der Situation nicht gerecht und willst an dem festhalten, was einmal war. Das Leben geht aber weiter. Oder wenn ein Sannyasin sagt, er hätte seine Bezie­hung zu Osho verloren, schaut er auf die Ver­gangenheit. Das ist so ähnlich wie von den alten Zeiten in Pune zu träumen. Das ist Vergangenheit – ich muss schauen, was jetzt ist. Wo ist meine Inspiration, die ich damals von Osho bekommen habe? Und wenn ich da auf dem Trockenen sitze, ist das eben meine Realität. Mit der muss ich umgehen. Und das ist wertvoller, als sich ständig an jemanden dranzuhängen und abhängig zu werden.

I&A: Wie nennst du es, wenn jemand seit Wochen, seit Monaten in einem tiefen Tal steckt. Wenn er kein Licht am Ende des Tunnels sieht und diesen Zustand einfach unerträglich findet. Ist das etwa keine Krise?

Rt: Das, was du jetzt beschreibst, klingt mehr nach einer Krise, die krankhafte Dimen­sio­nen hat. Wenn jemand etwa in einer schweren Depression steckt, ist eine medizinische Behandlung erforderlich. Das ist ein pathologischer Zu­stand und das ist etwas anderes als das Auf und Ab im Leben eines „gesunden Neuro­tikers“. Psychiatrische Fälle können wir Sannyas-Therapeuten mit unserer Heran­gehensweise nicht behandeln. Das Gleiche gilt für Alkoholismus und andere Süchte. Zwar kann man in unseren Zu­sammen­hängen ein bestimmtes Ver­ständ­nis für Sucht­mechanismen wecken. Um sie aber wirklich zu behandeln, bedarf es einer professionellen medizinischen Be­hand­lung, die wir hier nicht leisten können.

I&A: Das heißt, wenn du bei einem Vorgespräch den Eindruck hast, jemand befindet sich in einer psychiatrischen Krise, würdest du ihm sagen, es sei nicht der richtige Zeitpunkt, im UTA eine Gruppe zu machen?

Rt: Das nicht unbedingt. Aber ich würde Wert darauf legen, dass er sich zunächst in eine klassisch professionelle Behandlung begibt. Und wenn er dann – in Absprache mit dem behandelnden Arzt – eine Gruppe macht, wäre ich damit absolut einverstanden. Wir dürfen keine Hoff­nungen wecken, die wir am Ende nicht erfüllen können. Es ist ein bisschen so wie bei Leuten, die Krebs haben. Es wäre kompletter Schwachsinn, da etwa zu sagen: „Wenn du das Problem mit deiner Mutter gelöst hast, wirst du den Krebs los!“ Das wird dem Leben nicht gerecht. Damit würde ein unglaublicher Druck auf den Pa­tienten erzeugt und Erwar­tun­gen, die nie erfüllt werden können. Krank­sein ist einfach Teil des Lebens und wir nehmen es am besten als das, was es ist. Sicher, es gibt Um­stände, die krank machen können, und es ist wichtig, sich die anzuschauen. Das heißt aber nicht, dass jemand, der in idealer Weise im Einklang mit sich selbst lebt, nicht krank werden kann.

I&A: Bleiben wir also beim „gesunden Neurotiker“, auch der kann ja manchmal das Leben als Berg- und Talfahrt erleben. Ist es für ihn wich­tig, auch durch die Täler zu gehen?

Rt: Ja, weil auch die Täler zum Leben gehören. Wir haben meist ganz bestimmte Vorstel­lungen in unserem Kopf, wie das Leben sein sollte. Damit gehen wir an den Realitäten des Lebens vorbei. Es ist ja auch nicht 24 Stunden lang Tag. Wir haben einen Tag und eine Nacht. Und das Leben zu nehmen, es zu umarmen, heißt, sich vor dem Tag und der Nacht zu verneigen. Unsere Gesell­schaft ist nur auf die eine Seite fixiert, und zwar die Seite des Erfolgs. Alles andere wird unter den Teppich gekehrt. Das kann man eine Weile machen, vor allem wenn man noch jung ist. Aber irgendwann holt uns die Realität ein und dann läufst du noch als 60-Jähriger rum und trauerst Papi hinterher. Nur weil du deine Hausaufgaben nicht gemacht hast.

I&A: Was sind die Hausaufgaben?

Rt: Mir wirklich angucken, wer ich bin und was das Leben von mir will. Mich dem aussetzen. Und mich von kindlichen Ideal­vor­stellungen verabschieden: dass Papa allmächtig sei und Mama immer für mich da zu sein habe. Und auch von der Vorstellung, dass das Leben mir etwas schuldig sei. Das Leben ist uns nichts schuldig!

I&A: Sannyasins halten sich ja gerne an den Satz „easy is right“. Mit anderen Worten: Ich bin nicht auf dem richtigen Weg, wenn ich mich zu sehr für etwas anstrengen muss. Wenn mir dagegen alles leicht von der Hand geht, fühle ich mich im Einklang mit der Existenz.

Rt: Das ist eine sehr naive Vorstellung. Natür­lich hat der Satz „easy is right“ eine Bedeu­tung. Ich habe diesbezüglich selbst eine harte Lektion erhalten, als ich vor Jahren ein bestimmtes Projekt auf den Weg bringen wollte. Innerlich wusste ich, dass das Projekt stimmt, aber alles war schwierig. Da sagte ich mir, wenn „easy is right“ stimmt, mache ich gerade etwas völlig Fal­sches. Und dann hörte ich eines Tages Osho, wie er sagte: „Es gibt Dinge, die sind am Anfang süß und am Ende bitter. Und es gibt Dinge, die sind am Anfang bitter und am Ende süß.“ Wow, dachte ich, das ist wirklich eine andere Sichtweise. Das Projekt hat mir eine Lektion erteilt, was es heißt, mit Schwierigkeiten umzugehen. In Bezie­hun­gen ist es ähnlich. Da gibt es auch Höhen und Tiefen, und wenn man jedes Mal wegläuft, sobald Schwierigkeiten auftauchen, kratzt man nur an der Oberfläche herum. Die Unterscheidung kann allerdings manchmal schwierig sein: Denn oft verharren wir ja auch in Situationen, die uns nicht guttun und wir denken: „Wir müssen da durch. Wir müssen es aushalten!“ Das ist das andere Extrem. Es gibt beide Polaritäten. Man muss jedes Mal neu gucken: Bleibe ich jetzt dabei und beiße mich durch, oder muss ich etwas beenden, weil es vorbei ist – und ich quäle mich nur mit etwas ab, das mir nicht gut bekommt. Nach einer Weile merken wir einfach, wenn etwas wirklich vorbei ist. Man muss sich immer wieder neu den Puls fühlen, um dann entscheiden zu können: Ist das jetzt eine Herzrhythmusstörung oder pumpert mein Herz so, weil ich gerade 5 Treppen hochgelaufen bin? Die Antwort kann kein anderer geben als du selbst.

I&A: Von Friedrich Nietzsche stammt der Satz: „Damit meine Zweige in den Himmel wachsen können, müssen meine Wurzeln bis in die Hölle reichen.“ Brauchen wir Talfahrten zum Wachstum?

Rt: Mit Himmel und Hölle habe ich so meine Probleme, weil das sehr christliche Kon­struktionen sind. Was aber stimmt: Das Leben hat einen Tag und eine Nacht. Du hast Höhen und du hast Tiefen und auf beiden Seiten gibt es etwas zu lernen.

I&A: Aber es macht mehr Spaß, genau hinzu­gucken, wenn man oben ist. Schwierig wird es doch, wenn man unten ist, gerne etwas machen würde, aber sehen muß, daß nichts geht und man einfach nur hilflos ist …

Rt: Das Wort „Hilflosigkeit“ finde ich in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Wir wollen, dass alles machbar ist, aber es ist nicht alles machbar. Punkt! Für jeden Menschen ist es wichtig, diese existenzielle Hilf­losigkeit zu erfahren. Solange du glaubst, dass in deinem Werkzeugkoffer noch genügend Instrumente sind, mit denen du alles richten kannst, bleibst du in der Rolle des Machers. Erst wenn du deine eigene Hilflo­sigkeit erfahren hast, kannst du dich für etwas Größeres öffnen und sehen, dass Machbarkeit ihre Grenzen hat. Erst dann kann so etwas wie Hingabe an das Leben entstehen. Viele sehr wichtige Dinge im Leben kannst du eben nicht machen. So kannst du z.B. nicht machen, dass du dich verliebst.

I&A: Aber ist es nicht eine sehr dünne Linie zwischen dem Ich-kann-nichts-machen einerseits und dem Verantwortung-für-mich-selbst-übernehmen andererseits?

Rt: Wenn du die Verantwortung nicht übernimmst, bist du fatalistisch. Dann gibst du die Verantwortung an andere ab und machst dich selbst impotent. Das ist etwas ganz anderes.
In meinem Leben war es sehr wichtig, in manchen Situationen alles versucht zu haben. Und wenn ich alles getan hatte, was ich tun konnte, dann konnte ich auch in das hinein entspannen, was gerade geschah. Auch wenn es mir gar nicht gefiel. Dann konnte ich Ja sagen und auf das schauen, was kommt. Dann beschwere ich mich nicht, nach dem Motto: Hättest du doch oder könntest du noch! Ich habe von meiner Seite aus das Bestmögliche gegeben und getan und bin einfach an Grenzen gestoßen. Und an diese Grenzen stoßen wir früher oder später alle.
Ich möchte noch einmal auf das Zitat von Nietzsche zurückkommen. Was mich dabei stört, ist der christliche Kontext von Himmel und Hölle. Es ist uns in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir „den Him­mel“ als Belohnung und „die Hölle“ als Bestrafung erleben. Dieses System von Belohnen und Bestrafen zerstört jede Lebendigkeit und jede Bewegung. In Krisen fragen wir uns dann häufig: Was habe ich falsch gemacht? Diese Frage kann einerseits durchaus zu einer sinnvollen Reflexion führen. Oft führt sie aber nur dazu, dass wir uns selber runtermachen und sagen: Ich Idiot, hätte ich doch … Ob es uns gut geht oder schlecht, ist aber keine Frage von Lohn oder Strafe. Das ist ein Konstrukt, das erfunden wurde, um Menschen zu manipulieren.

I&A: Das gleiche Denken findest du aber auch in der Esoterik …

Rt:  Das ist dann eine Übertragung des christlichen Denkens auf die Esoterik. Zum Bei­spiel zu sagen: Wenn ich genug meditiert habe, werde ich erleuchtet. Wie viel Unsinn machen Leute, um auf diese Weise zu wachsen: Sie unterwerfen sich Disziplinen, die ihnen nichts bringen.

I&A: Zum Beispiel jeden Morgen zur Dynamischen Meditation zu gehen?

Rt: Unter Umständen: ja! Und dann auf die anderen herabschauen, die es nicht tun. Das ist dasselbe alte Spiel. Wichtig ist es, im Einklang mit dir selbst zu bleiben. Und wenn es für dich stimmt, ist es super, die Dynamische ein Jahr oder zwei oder fünf Jahre lang zu machen. Aber wenn du die Dynamische nur machst, um dann zur Rech­ten Gottes zu sitzen oder irgendeinem esoterischen Ideal zu genügen, ist es eben Schwachsinn.

I&A: Es gibt also kein Ideal, sondern nur den jetzi­gen Moment, wo man guckt, was stimmt und was nicht?

Rt: Du sagst das so lapidar, dabei sind die Implikationen davon immens! Wenn du das wirklich lebst, hört der ganze Schwachsinn auf. Aber wir sind nicht bereit, das wirklich zu tun. Wir suchen immer noch nach einem Kopfnicken, nach einer Bestätigung von außen. Wir wollen Teil der Menge sein. Das macht uns unfrei und entfernt uns von unserer eigenen Mitte. Wir müssen die Aufmerksamkeit auf uns zurück lenken. Auch wenn das heißt, dass wir dann allein stehen. Das kann Angst machen und dann müssen wir uns der Angst stellen und dabei bleiben. Angst ist eben auch Teil des Lebens.

I&A: Was heißt das, sich der Angst stellen?

Rt: Das heißt, die Löcher, in die wir fallen, nicht mit irgendwelchen Ersatzlösungen zu stopfen. Das, was in unserer Welt „der liebe Gott“ heißt, ist nichts anderes als der Teddy­bär, den man kleinen Kindern als Ersatz­objekt gibt, damit sie sich von der Mutter lösen können. An diesem Teddybär halten wir fest. Ich bin immer maßlos überrascht, wie viele Leute noch an diesem Gottes­begriff hängen und nicht ohne ihn auskommen können.

I&A: Auch in unserer Szene?

Rt: Ja, auch bei uns. Du kannst dasselbe ja auch auf den spirituellen Meister projizieren oder sogar auf deinen Therapeuten. Du willst ihm gefallen und gehst dafür aus deiner Mitte. Ich will mich da gar nicht ausschließen, aber je länger ich dieses Spiel beobachte, desto besser kann ich sehen, wie idiotisch es ist. So funktioniert unser „Denken“ da oben im Kopf nun einmal, und mein Denken ist nicht anders, als das von an­deren.   


 

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