Unbeschreiblich weiblich
Noch bis Anfang der 60er-Jahre gab es eine klare Trennung: die Frau sorgt für Heim und Herd – der Mann für das Geld. Heute verwischen die männlichen und weiblichen Rollenbilder zunehmend. Es ist selbstverständlich geworden, dass Frauen Familie und Karriere leben wollen. Ist das nicht ein enormer Zuwachs an Freiheit?
Durchaus. Ich gehöre zu einer Generation von Frauen, die zum ersten Mal in der Geschichte eine wirkliche Wahl hatte: Möchte ich eine Familie gründen, möchte ich Kinder haben oder entscheide ich mich für Karriere. Oder in meinem Fall, möchte ich mit Osho in einer Kommune leben? Meine Mutter hatte diese Wahl noch nicht. Sie war eigentlich sehr kontaktfreudig und hätte gerne gearbeitet, aber das ging damals nicht. Mein Vater verdiente das Geld, und damit hatte er das Sagen. Alles musste nach seiner Pfeife tanzen. Entsprechend war meine Mutter voller Ärger und ziemlich frustriert. Niemals wollte ich so leben wie sie – das war wie ein Schwur! Unabhängigkeit (auch finanziell) und Freiheit wurden so mein A und O. Insofern kann ich also schon sagen: Ja, meine Generation hat viel mehr Freiheiten! Denk nur mal daran, dass eine Frau in den 50er-Jahren noch verpflichtet war, ihre ehelichen Pflichten (Sex) zu erfüllen, und die schriftliche Zustimmung ihres Ehemanns brauchte, wenn sie arbeiten wollte – ja selbst, wenn sie ein eigenes Konto eröffnen wollte.
Und doch ist dieses Mehr an Freiheit auch mit neuen Problemen verbunden … Ja, es gibt eine Überforderung.
Viele Frauen versuchen Superwoman zu sein. Sie versuchen Karriere zu machen und gleichzeitig auch noch eine tolle Hausfrau, Mutter und sexy Geliebte zu sein. Es ist daher auch kein Wunder, dass immer mehr Frauen unter Burn-out leiden.
Die Soziologin und Unternehmerin Gisela Erler hat gerade ein bemerkenswertes Buch über die Unterschiede zwischen Männern und Frauen geschrieben. Das Buch heißt „Schluss mit der Umerziehung“ und vertritt unter anderem die These, dass die bisherige Gleichstellungspolitik scheitern musste, weil sie die Unterschiede zwischen den Geschlechtern unterschätzt habe. „Frauen wollen schon aufsteigen, aber nicht, wenn dabei Nähe und Teamgeist verloren geht. Frauen schätzen Gleichheit mehr als Männer. Hierachien aller Art liegen ihnen weniger – genauso persönlicher Wettbewerb, wo sie ihr Gegenüber ausstechen müssen…“ Was hältst Du von diesen Thesen?
Das sehe ich auch so! Das Problem jetzt ist ja, dass viele Frauen in unserer Gesellschaft versuchen, die besseren Männer zu sein. Dabei vergessen sie ihre ureigenen weiblichen Qualitäten.
Weibliche Qualitäten sind zum Beispiel das Empfangende, Spielerische, das Offene, Miteinbeziehende – Eigenschaften, die viel mit dem Herzen zu tun haben. Bei Frauen findest du oft mehr Bereitschaft zur Kooperation. Kleines Beispiel: Wenn Frauen ein Projekt zusammen machen, setzen sie sich erst einmal hin und trinken Kaffee und besprechen, wie es ihnen gerade so geht, was los ist, auch in ihrem privaten Leben.
Da geht es also um Kontakt, um ein Sicherspüren und -fühlen. Und wenn diese Ebene stimmt, dann packen alle zusammen an. Da geht es dann nicht um Ausstechen, sondern um ein Einbeziehen. Das ist der weibliche Blickwinkel: Die Familie muss erst einmal zusammen sein und dann starten wir durch. Bei Männer geht es tendenziell erst einmal um die Beherrschung des Platzes.
Und sofort stellt sich die Frage: „Wer ist der Platzhirsch?“ Die Rangordnung muss festgelgt werden.
Damit sich Männer und Frauen in Unternehmen nicht gegenseitig blockieren, schlägt Gisela Elser sogar vor, dass sie häufiger an getrennten Projekten arbeiten sollten, „wo sie unter sich bleiben können, um dann später wieder zusammenzufinden“. Das sei keine Diskrimierung und auch kein Schonraum, sondern ein Raum zur Entfaltung weiblicher Stärken und Qualitäten.
Auch da stimme ich ihr zu. In den meisten Firmen müssen Frauen die „besseren Männer“ sein, wenn sie Karriere machen wollen! Ich glaube, die Wirtschaft hat einfach noch nicht erkannt, wie produktiv Frauen arbeiten können, wenn sie ihre spezifischen Fähigkeiten einbringen können. Wie sie sagt, geht es dann vor allem um Teamgeist, Betonung des Gemeinsamen und weniger um Hierarchie. Was Frauen leisten können, haben sie gezeigt, als sie Deutschland nach dem Krieg wieder aufgebaut haben. Die Männer waren ja weg – sie sind im Krieg gefallen oder waren in Gefangenschaft. Es waren die Trümmerfrauen, die ganze Städte wieder aufgebaut haben. Frauen können das – sie machen es halt anders. Aber dass Frauen bis heute oft für den gleichen Job nicht automatisch gleich bezahlt werden, ist doch unglaublich!
Wir haben jetzt viel von den weiblichen Lichtseiten gesprochen – Teamgeist, das Rezeptive, Spielerische, Raumgebende. Was sind die Schattenseiten?
In bestimmter Hinsicht waren Frauen schon immer harte Konkurrentinnen. In Konkurrenz um den Mann, um den Chef können Frauen gnadenlos kämpfen: Wer ist die Schönste, die Attraktivste, die Beste? Das hat viel damit zu tun, dass das Weiblichsein oft genau über diese äußerliche Schönheit definiert wird. Dann gibt es Zickenkrieg und dann wird mit allen Waffen gekämpft.
Das widerspricht dann aber der Analyse von Gisela Erler, die sagt, Frauen würden in Firmen eher den persönlichen Konkurrenzkampf meiden…
Nicht unbedingt. Die weiblichen Schattenseiten werden häufig in einem männlichen dominierten Arbeitsumfeld besonders stimuliert. Wenn es eine männliche Hierarchie gibt, müssen Frauen sich anpassen und verfallen mitunter in einen fast archaischen Überlebenskampf: „Ich muss die Nummer eins sein, sonst bin ich nicht versorgt!“ Wenn Frauen aber die Atmosphäre selbst bestimmen können, können sie ihre postiven Qualitäten einbringen. Dann geht es darum, erst mal zu gucken: Sind wir alle in einem Boot? Sind wir alle versorgt? Dann werden aus Konkurrentinnen Schwestern.
Wenn du an die Kanzlerin denkst: Glaubst du wirklich, dass ihr Kabinett von weiblichem Teamgeist geprägt ist?
Nein. Angela Merkel ist die erste Frau im Kanzleramt. Sie hat in einer absoluten Männerdomäne Karriere gemacht. Da sind wohl ihre männlichen Anteile und ihr Wunsch nach Macht sehr stark aktiviert. Wenn du so etwas erreichen willst, musst du zum Platzhirsch werden oder eben zur Leitstute. Du musst bereit sein, rücksichtslos zu kämpfen und den Gegner auszustechen. Ich kenne sie ja nicht, aber ich glaube schon, dass sie dafür einen hohen Preis bezahlt.
Ihr bietet im UTA eine Jahresgruppe für Frauen an – worum wird es in dieser Gruppe gehen?
Manche denken ja: Frauengruppe, das richtet sich bestimmt gegen Männer. Darum geht es aber überhaupt nicht. Im Gegenteil. Indem wir uns intensiv mit unserer Konditionierung als Frau und typisch weiblichen Wunden auseinandersetzen, schaffen wir die Voraussetzung für eine wirkliche Begegnung mit dem Mann.
Osho hat ja ganz intensiv mit Frauen gearbeitet und immer wieder darauf hingewiesen, dass die Frauen wieder zu ihrer eigentlichen Kraft zurückfinden müssen. Es kann also nicht um ein Angleichen an die Männer gehen, sondern um die Offenlegung der weiblichen Essenz. Das hat auch eine ganz starke körperliche Dimension: den eigenen Körper annehmen, bedeutet auch zu Hause ankommen. Da gibt es gerade bei Frauen ganz tiefe Wunden. Viele von uns sind unglaublich selbstkritisch mit ihrem Körper. Frauen wollen den Männern gefallen, sie wollen die Männer glücklich machen. Für ihn, alles für ihn! Dieses Hingebungsvolle für andere kann eine sehr weibliche Qualität sein, aber innerhalb einer Beziehung wird es oft zu einem Sichaufgeben. Wenn ich den anderen immer voranstelle, gucke ich nie: Was brauche ich eigentlich?
Auffällig ist ja auch, dass gerade bei jungen Frauen das Diktat des Schön-Sein-Müssens völlig ungebrochen ist. Von allen möglichen Diäten bis hin zur Schamhaarentfernung unternehmen die Frauen heute sicher noch viel mehr als ihre Großmütter, um Männern zu gefallen.
Warum hat die Frauenbewegung hier – im Gegensatz zur beruflichen Gleichstellung – so wenig erreicht?
Ich glaube, diese Konditionierung sitzt einfach viel tiefer. In der Tat hat die Frauenbewegung vieles erreicht: Wir können studieren, sind finanziell unabhängig und haben die Wahl, ob wir Kinder wollen oder nicht. Aber die Konditionierung des Gefallen-Wollens sitzt ganz tief in unseren Zellen: „Ich muss schön und attraktiv sein, um einen erfolgreichen Mann zu bekommen, damit ich gut versorgt bin.“ Das geht hin bis zur Selbstverleugnung.
Der Blick ist nur nach außen gerichtet: Wie sehe ich aus? Bin ich schön? Was braucht der andere? Ich schaue dann nur noch durch die Augen des anderen und verliere ganz die Wahrnehmung von mir und meinem Körper. Wenn ich nicht in meinem Körper zu Hause bin, kann ich auch keinen Sex genießen. Die Tatsache, dass wir heute freien Sex haben, bedeutet ja noch lange nicht, dass wir uns dabei auch innerlich spüren.
Was bedeutet eigentlich weibliche Sexualität? Meistens haben wir Sex von Jungs gelernt, die auch keine Ahnung hatten. Und selten haben uns unsere Mütter den Sex als etwas Schönes und Lustvolles erklärt. Eher haben wir ihre Scham, ihren Widerwillen oder ihren Männerhass mitgekriegt: „Mädchen pass auf, dass du nicht schwanger wirst. Der Mann will immer nur das Eine!“ Das alles sitzt tief in unseren Zellen – das müssen wir langsam zum Vorschein bringen und heilen, uns dann auch liebevoll von dieser mütterlichen- und großmütterlichen Erbschaft verabschieden. Das braucht einfach Zeit!
Habt ihr in der Gruppe ein bestimmtes Ideal, wie eine Frau zu sein hat?
Nein, um Gottes Willen! Es geht ja gerade nicht darum, irgendeinem Ideal zu entsprechen. Wenn Frauen wirklich in ihren Körper, in ihren Bauch, in ihre weibliche Essenz hineinspüren, werden sie eine große Kraft wahrnehmen. Es ist dann auch egal, ob sie dieses Potenzial, das ihnen die Natur gegeben hat, in Form von Kindern ausdrücken möchten oder ob sie ihre Energie in andere kreative Projekte fließen lassen wollen. Wird diese Kraft wahrgenommen, wird sie schon ihren Ausdruck finden.
In welcher Form auch immer.
Artikel Oshotimes / Ausgabe Juli 2012
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