Direkt zum Inhalt
Diskurse

Über die Angst vor dem sterbenden Ich

von Osho

Frage an Osho:
Jemand hat mich einmal gefragt, wofür der christliche Gott stehe, und ich habe spontan geantwortet: „Liebe, Vertrauen, Todesangst.“ Damals, nach einer gründlichen Prägung zu einem äußerlichen Leben und einem verdrängten Innenleben, erfuhr ich Liebe und Vertrauen als eine überwältigende innere Öffnung und energetische Fülle. Das passierte, nachdem ich grad erst von dir erfahren und meine ersten Meditationen hinter mir hatte. Äußerlich betrachtet kam es mir wie Wahnsinn vor, aber in all der Verrücktheit hatte ich doch ein klares, starkes Gefühl von einer Energie, die mich zu etwas hinführte, wonach ich mein ganzes Leben lang gesucht habe.  

Andererseits kam eine große Angst hoch. Todesangst, verbunden mit einem Kindheitsbild von einem uralten Gott, der die Macht hatte, Menschen mit Tod und ewiger Finsternis zu bestrafen. Dieses Angstgefühl verbreitet in mir noch immer eine gewisse Schwere und unterbricht den natürlichen Energiefluss. 

Kannst du bitte über Angst und Tod sprechen? 

Osho
Der gewöhnliche Gott ist nichts als eine Projektion eurer Angst. Es ist keine Liebe, kein Vertrauen – denn Liebe weiß nichts von Angst und Vertrauen weiß nichts von Angst. So wie das Licht nie das Dunkel gesehen hat, sind Liebe und Vertrauen niemals der Angst begegnet. Aber in allen Sprachen der Welt kommen Formulierungen wie „gottesfürchtig“ vor; ein religiöser Mensch gilt als ,gottesfürchtig“. Das ist purer Unsinn. Ein religiöser Mensch kann Gott nicht fürchten, er kann Gott nur lieben. Wenn er Gott fürchtet, ist er noch nicht religiös. Wie kann man Gott fürchten?

Doch eure Priester haben solch ein Geschrei um Hölle, Bestrafung, Karma gemacht!

Sie haben solch ein Aufheben um einen wutschnaubenden Gott gemacht – wer ihm nicht gehorcht, der wird ins Höllenfeuer geworfen, und zwar auf ewig. Die Arbeit des Priesters besteht darin, euch Angst einzujagen; denn sobald Angst herrscht, seid ihr ausbeutbar. Ein angstvoller Mensch wird zur Kirche, zur Moschee, zum Tempel gehen – aber damit geht er nicht zu Gott, sondern im Grunde zum Priester, und der Priester beutet seine Angst aus.

Ein wahrhaft religiöser Mensch hat eine vollkommen andere Lebenseinstellung: keine angstvolle, sondern eine ungeheuer liebevolle. Sein Gott entspringt seiner Liebe, sein Gott ist nur ein anderes Wort für seine grenzenlose Liebe. Sein Gott ist ein anderes Wort für seine grenzenlose, orgastische Freude an der Existenz.

Und genau das ist es, was jetzt dir widerfährt. Hier bei mir, als Sannyasin, meditierend, steigt Liebe auf, steigt Vertrauen auf. Aber gleichzeitig verspürst du auch Angst. Diese Angst ist durch und durch anders; sie ist nicht die von den Priestern erzeugte Angst – denn ich jage euch keine Angst ein. Und es ist auch nicht die Angst vor dem Tod, denn du weißt nichts über den Tod – wie kannst du vor etwas Angst haben, das du gar nicht kennst? Um Angst zu haben, muss man sich zumindest ein wenig kennen. Vor etwas absolut Unbekanntem kann man keine Angst haben – und der Tod ist absolut unbekannt. 

Es ist also auch keine Todesangst. Es ist etwas anderes, was du noch nie hast begreifen können – nämlich die Angst vor einem sterbenden Ich, es scheint wie ein Tod. Es ist in gewissem Sinne ein Tod, da du dich so sehr mit dem Ego identifizierst, mit der Vorstellung vom „Ich“, dass du, wenn das Ich sich aufzulösen beginnt, das Gefühl hast als würdest du sterben – offensichtlich. Deine Identifikation löst sich auf, du machst eine Identitätskrise durch. Klammere dich nicht am Ego fest, lass es los – denn der Tod des Ego ist nicht dein Tod. Der Tod des Ego ist im Gegenteil deine wahre Geburt.

Du kommst dieser Geburt jetzt näher und näher, deiner wahren Geburt. Dir steht deine Wiedergeburt bevor. Aber wieder geboren kannst du nur werden, wenn dein Ego fort ist. Zugleich mit dem Ego verschwindet auch der Tod, vergiss das nicht – denn du bist noch nie gestorben. Wie könntest du sterben? Du wirst auch nicht geboren. Du bist Gott! Du bist göttliche Energie! Du bist seit eh und je da gewesen, und du wirst auf immer und ewig da bleiben. Geburt und Tod betreffen nur Körper und Geist, und zwischen Körper und Geist steht das Ego: Es ist ein Geschöpf, eine Verschwörung von Körper/Geist: Wenn sich das Ego auflöst, löst sich dein Tod mit auf.  Ist das Ego fort, stellst du überrascht fest, dass du ewig bist, dass du seit immer und ewig hier gewesen bist und auf immer und ewig hier sein wirst: Du bist ein Teil der unsterblichen Wahrheit.

Du näherst dich etwas ungeheuer Wertvollem. Doch dein Geist macht daraus ein Problem; er redet dir ein, du hättest Angst vor dem Tod. Es ist keine Todesangst, sondern die Angst vor der Auflösung eines Ichs. Lass es los.

Ich sage dir: Mir ist es ganz genauso ergangen. Genauso wird es vielen von meinen Leuten ergehen. Genauso ist es allen Buddhas seit Menschengedenken ergangen: Das Ego stirbt – aber jeder schreckt vor dem sterbenden Ego zurück. Wir sind so mit ihm identifiziert, dass uns der Tod unseres Egos vorkommt als würden wir sterben. Wir sterben keineswegs.

Das ist wie wenn das Kind sich anschickt, nach neun Monaten im Mutterleib auf die Welt zu kommen. Dem Kind muss es davor grauen: Dies war schließlich sein Leben. Dieses neunmonatige Leben im Mutterleib ist schließlich das einzige Leben, das es kennt. Und jetzt wird es rausgeworfen aus dem Mutterleib: Es muss sich fühlen, als würde es aus dem Garten Eden vertrieben. Es klammert sich; es will den Mutterleib nicht verlassen. Es hat Angst vor dem Unbekannten.

Aber die Natur macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Es darf sich ein paar Stunden lang sträuben und der Mutter Schmerzen bereiten – insofern dass das Kind sich am Mutterleib festklammert, dieser es aber herauspressen will, da es soweit ist, in die weitere Welt hinauszugehen. Es ist jetzt reif genug; es bedarf nicht mehr eines schützenden Mutterleibes. Und was für ein Leben kann man schon im Mutterleib führen? Da gibt’s überhaupt kein Leben. Das Kind schläft rund um die Uhr, es liegt praktisch in einem Koma. Doch dies ist das einzige Leben, das es kennt, also klammert es sich.

Du kennst nur ein Leben, das Leben des Ichs. Ein ziemlich klägliches Leben – nichts als Leiden, Elend, Schlafen, Träumen – aber du kennst halt kein anderes Leben. Irgendwann kommt der Punkt, da man durch Meditation genügend gereift ist und man aus seinem Ego vertrieben werden muss. Das ist die zweite Geburt. In Indien nennen wir so jemanden einen dwij – Zweimalgeborenen. Ein Buddha ist ein dwij. Die erste Geburt – die körperliche, die biologische Geburt – erfolgt durch eine Mutter. Die zweite Geburt – die spirituelle Geburt, die religiöse Geburt – erfolgt durch einen Meister.

Fühl dich gesegnet. Du näherst dich einem ausgesprochen entscheidenden Punkt, einem Wendepunkt in deinem Leben. Klammere dich nicht ans Ego – entspann dich, lass los. Lass das Ego sich auflösen; es ist nicht du. Und dann wirst du zum ersten Mal erkennen, wer du bist. Zum ersten Mal wird dir das Mysterium deines Seins offenbart werden. Und von da an beginnst du zu leben; davor hattest du nur geschlafen.

Aus: Be Still and Know

Weitere News und Artikel

Horoskop November 2025
Horoskop

Horoskop November 2025

von Anandi
„Wonach du sehnlich ausgeschaut, es wurde dir beschieden. Du triumphierst und jubelst laut: Jetzt hab‘ ich endlich Frieden!
» weiterlesen
Diskurs Oktober 2025
Diskurse

Es gibt auf dieser Welt nur ein Glück – nämlich du selber zu sein

von Osho
Frage an Osho: Warum tun alle so, als wären sie jemand anders, als sie sind? Wie ist das psychologisch zu erklären?
» weiterlesen