Es gibt auf dieser Welt nur ein Glück – nämlich du selber zu sein
Frage an Osho
Warum tun alle so, als wären sie jemand anders, als sie sind? Wie ist das psychologisch zu erklären?
Osho
Narendra, dieser Fluch lastet auf allen, von frühester Kindheit an.
Alles, was der Mensch von sich aus macht, weil es einem Spaß macht, darf nicht sein. Sein Umfeld, die Menge, in der jedes Kind aufwachsen muss, hat ihre eigenen Vorstellungen, Ideale. Das Kind muss sich diesen Vorstellungen und Idealen anpassen. Das Kind ist wehrlos.
Habt ihr je darüber nachgedacht? Das Kind des Menschen ist das wehrloseste Kind in der gesamten Tierwelt. Jedes neugeborene Tier kann ohne die Unterstützung der Eltern und der Menge überleben, nur nicht das Menschenkind – es würde sofort sterben. Es ist das hilfloseste Geschöpf auf Erden – ständig dem Tod ausgesetzt, völlig gebrechlich.
Folglich können die, die das Sagen haben, das Kind so formen, wie sie wollen.
Folglich ist jeder gegen seinen Willen zu dem geworden, der er ist. Das ist die psychologische Erklärung dafür, dass alle so tun, als wären sie jemand anders, als sie sind.
Jeder ist in einem schizophrenen Zustand. Er hat nie er selbst sein dürfen, er ist gezwungen worden, jemand anders zu sein – der seiner eigentlichen Natur zuwider ist.
Also beginnt man, je älter und selbstständiger man wird, alles Mögliche vorzutäuschen, das man gerne geworden wäre. Aber in dieser Wahnsinnswelt hat man ihn sich selbst entfremdet, hat man ihn zu jemandem gemacht, der er gar nicht ist. Er weiß genau, jeder weiß genau, dass er gezwungen wurde, Arzt oder Ingenieur zu werden ist; dass er gezwungen wurde, Politiker zu werden, Verbrecher zu werden, Bettler zu werden.
Es gibt allerlei finstere Mächte …
In Mumbai gibt es Leute, deren ganzes Geschäft darin besteht, Kinder zu stehlen und sie zu Krüppeln, Blinden, Lahmen zu machen und sie zu zwingen betteln zu gehen … und jeden Abend müssen sie alles Geld abliefern, das sie ergattert haben. Sie werden zwar ernährt und haben ein Dach überm Kopf, aber sie werden wie Dinge behandelt und ausgenutzt, sie sind keine Menschen. Dies ist das Extrem, aber dasselbe ist mehr oder weniger das Schicksal aller.
Niemand fühlt sich wohl in seiner Haut.
Folgende Anekdote …
Ein bedeutender Chirurg ging in den Ruhestand; er war ausgesprochen berühmt und so wollten seine vielen Freunde und Kollegen seinen Abschied gebührend feiern. Während alle tanzten und sangen und tranken, stand er nur betrübt abseits. Ein Freund trat zu ihm und fragte: „Was ist denn mit dir los? –wir feiern dich, und du machst ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Setzt du dich etwa nicht gern zur Ruhe? Du bist 75, du hättest schon vor 15 Jahren in Pension gehen sollen. Aber bei deinem Können kann dir keiner das Wasser reichen. Gönn dir jetzt endlich Ruhe und entspann dich!“
Er darauf: „Weißt du, woran ich denke? Ich bin traurig, weil meine Eltern mich gezwungen haben, Chirurg zu werden. Ich wollte eigentlich Sänger werden – und hätte es genossen! Selbst wenn ich es nur zum Straßensänger gebracht hätte – ich hätte mich nicht verbogen. Ich war zum Singen berufen. Jetzt bin ich zwar ein weltberühmter Chirurg – aber nicht ich selber! Wenn ich höre, wie mich alle als Chirurg loben, denke ich sie meinen jemand anderen. All meine Auszeichnungen, Doktortitel und Ehrungen berühren mein Herz nicht – weil ich das gar nicht bin. Mein Leben als Chirurg hat mich umgebracht, zerstört. Ich wollte einfach nur ein Flötenspieler sein! Auch wenn ich nur ein Straßenbettler geworden wäre – ich wäre glücklich gewesen.“
Es gibt auf dieser Welt nur ein Glück – nämlich du selber zu sein.
Und da keiner er selbst ist, verstecken sich alle lieber – hinter Masken, Prätentionen, Heucheleien: Sie schämen sich für das, was sie sind.
Wir haben die Welt zu einem Marktplatz gemacht, nicht zu einem schönen Garten, zu dem jeder seine eigenen Blumen beisteuern darf. Wir zwingen Ringelblumen Rosen hervorzubringen – nun, wie sollen Ringelblumen Rosen erschaffen? Das können nur Plastikrosen sein, und die Ringelblumen werden sich unter Tränen schämen: „Wir hatten nicht den Mut, uns gegen die Menge aufzulehnen. Sie haben uns künstliche Blumen aufgezwungen, dabei hätten wir lieber unsere eigenen Blüten getragen, für die unsere Säfte fließen – aber unsere eigenen Blüten sind nicht erwünscht.“
Man bringt euch alles Mögliche bei – nur nicht, ihr selbst zu sein. Diese Gesellschaft könnte nicht hässlicher sein – denn sie macht alle unglücklich.
Ich habe von einer anderen Berühmtheit gehört – ein großer Literaturprofessor, der in Pension ging. Alle Universitätsprofessoren und Freunde wollten ihm ein Abschiedsfest geben, und alle feierten. Da plötzlich merkten sie, dass er gar nicht da war! Einer seiner Freunde, ein Anwalt, vermutete ihn im Garten und fand ihn dort auch unter einem Baum sitzen. Der Anwalt war sein engster Freund, schon aus Kindheitstagen, und fragte ihn: „Was machst du denn hier?“
Er darauf: „Was ich hier mache? Weißt du noch, wie ich vor fünfzig Jahren zu dir kam, weil ich meine Frau umbringen wollte? Du aber hast mich abgehalten und gesagt: ,Mach keine Dummheiten. Sonst musst du fünfzig Jahre im Gefängnis sitzen!’ Eben dachte ich, wenn ich nicht auf dich gehört hätte, wäre ich heute aus dem Gefängnis gekommen, wäre frei. Und ich hab eine solche Wut, dass ich dich umbringen könnte. Was hindert mich, zumindest dich umbringen?! Jetzt bin ich fünfundsiebzig. Selbst wenn ich dafür fünfzig Jahre Gefängnis kriege, müsste ich die nicht absitzen, denn in fünf, sieben Jahren bin ich tot. Du aber warst nicht mein Freund, du hast dich als mein größter Feind entpuppt.“
Zu sein, was du nicht sein möchtest, mit jemandem zusammen zu sein, den du nicht magst, etwas zu tun, wozu du keine Lust hast, ist die Wurzel all eures Elends.
Einerseits hat es die Gesellschaft geschafft, alle elend zu machen, und andererseits verlangt dieselbe Gesellschaft von euch, Euer Elend nicht zu zeigen – jedenfalls nicht öffentlich, nicht vor aller Augen: „Das ist Privatsache und geht niemanden etwas an!“
Sie haben euch elend gemacht – also betrifft das tatsächlich die Öffentlichkeit, ist keine Privatsache. Dieselbe Menge, die all euer Elend verursacht hat, verlangt von euch sogar noch: „Behaltet euer Elend für euch, aber in der Öffentlichkeit habt ihr zu lächeln. Erspart den anderen den Anblick eures Elends.“
Das nennen sie Anstand, gute Manieren, Kultur. Im Grunde ist es Heuchelei.
Und nur wer sich einen Ruck gibt und beschließt: „Ich will einfach nur ich selbst sein, koste es, was es wolle. Verdammt mich, schneidet mich, verachtet mich – mir ist alles recht, aber ich kann nicht länger so tun, als wäre ich jemand anders!“ Dieser Entschluss und diese Erklärung – diese Befreiung vom Druck der Menge ist die Geburtsstunde deiner Natürlichkeit, deiner Individualität.
Dann brauchst du keine Maske mehr. Dann darfst du einfach du selbst sein, so wie du bist. Und sobald du genauso sein darfst, wie du bist, breitet sich in dir ein ungeheurer Friede aus, den du dir nicht einmal vorstellen kannst.
Aus: Beyond Enlightenment Chapter #19
(Jenseits von Erleuchtung, Kap. 19)