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Diskurse

Der Stoff zum Träumen

von Osho

Frage an Osho:
"Wie kann ich den Unterschied zwischen Erfahrungen aus früheren Leben und Illusionen, Wahn erkennen?"

Osho:
Das ist überhaupt nicht nötig: Alles Vergangene ist bereits illusorisch. Es gibt keinen Unterschied zwischen Illusion und der Vergangenheit. Alles Vergangene ist nicht mehr wirklich. Nun, dies ist etwas, das es zutiefst zu verstehen gilt.

Gestern ist nicht mehr. Was also ist der Unterschied zwischen einem wirklichen Gestern und einem eingebildeten Gestern? Da ist kein Unterschied, weil beide nur noch in Gedanken existieren – das Wirkliche wie das Eingebildete. Beide werden irgendwie Einbildungen sein. Worin sollte sich ein wirkliches Gestern von einem unwirklichen Gestern unterscheiden? In nichts, da beide unwirklich sind. Alle beide existieren nur in deiner Gedankenwelt und sonst nirgends.

Alles Vergangene ist illusorisch; alles Zukünftige ist illusorisch, denn es ist noch nicht da; und dazwischen ist die Gegenwart. Darum nennen wir im Osten die gesamte Existenz illusorisch – maya –, denn wo sollte zwischen zwei Illusionen die Wirklichkeit herkommen? Und aus dem Heute wird wieder ein Gestern; das Heute geht ständig ins Gestern über. Die Gegenwart wird ständig zur Vergangenheit. Wie kann das Wirkliche illusorisch werden? Die Zukunft geht in Vergangenheit über und die Gegenwart ist nur ein Tor, nichts weiter. Zukunft und Vergangenheit sind illusorisch; nur am Tor scheint alles einen einzigen Augenblick lang wirklich zu sein. Was für eine Wirklichkeit soll das sein? Auch sie ist illusorisch. Den Hindus zufolge ist sie nur Schein – unwirklich.

Wirklich ist nur, was währt. Wirklich ist das, was für immer und ewig da ist. Wirklich ist das, was jenseits der Zeit ist. Unwirklich ist das, was in der Zeit ist. Die Vergangenheit ist in der Zeit. Da uns der Gedanke, die Wirklichkeit sei unwirklich, schwerfällt, fangt lieber mit der Vergangenheit an. Der Gedanke, die Vergangenheit sei unwirklich, ist leicht, denn was für einen Unterschied macht es, ob sie passiert ist oder nicht? Vielleicht hat es sie nie gegeben.

Vielleicht existiert sie nur in der Vorstellung, vielleicht bilden wir uns ja nur ein, dass sie existiert hat? Es ist sehr leicht, die Vergangenheit als unwirklich zu denken und die Zukunft genauso. Beide verbindet die schmale Brücke der Gegenwart. Wie könnte es zwischen zwei Unwirklichkeiten etwas Wirkliches geben? Wie könnte die Mitte wirklich sein, wenn die beiden Enden unwirklich sind und wenn dies Wirkliche ununterbrochen zu Unwirklichkeit und Illusion wird? Nein, alles, was erfahren wird, ist Einbildung, ist „der Stoff zu Träumen.“ Nur der Erfahrende ist wirklich, nur der Beobachter ist wirklich. Das Beobachtete ist Traum; der Beobachter, der Zeuge, ist wirklich.

Das ist eine der größten Entdeckungen menschlichen Bewusstseins in der gesamten Menschheitsgeschichte. Sie ist mit nichts zu vergleichen. Dagegen sind alle anderen Entdeckungen kindisch. Diese eine Entdeckung ist der Grundstein jeglicher Religion: dass es dich gibt – als Zeugen gibt. Selbst einen Traum kann es nur geben, wenn ein Träumer da ist. Der Traum mag ein Traum sein, aber der Träumer kann kein Traum sein. Selbst um getäuscht zu werden, muss ich erst einmal da sein; selbst um mich irren zu können, muss ich existieren. Ohne mich kann es keinen Irrtum geben. Die Suche der Meditation gilt dem Zeugen.
Kümmere dich also nicht darum, wie du Erfahrungen aus vergangenen Leben von Illusion, Wahnbildern unterscheiden kannst. Da gibt es nichts zu erkennen. Das ist nicht nötig. 

Ich habe gehört…

Mulla Nasrudin erzählt seiner Frau von seinem Traum gestern Nacht. „Es war furchtbar!“, sagt er. „Ich war zu Joes Geburtsfeier eingeladen. Seine Mutter hatte ihm eine meterhohe Schokoladentorte gebacken, und als sie sie anschnitt, kriegte jeder ein so riesiges Stück, dass es auf beiden Seiten über den Teller hinaushing. Danach verteilte sie ihr selbst gemachtes Eis. Sie hatte so viel gemacht, dass es für jeden einen Suppenteller voll gab. 
„Und was war dann so furchtbar an dem Traum?“, will seine Frau wissen.
„Ach,“ sagt Nasrudin, „ich bin wach geworden, eh ich auch nur einen Bissen zu kosten bekam!“

Wir erwachen ständig aus der Vergangenheit. Jeder Moment ist ein Erwachen. Aber dann entschlafen wir immer prompt in die Zukunft und so ist jeder Moment auch ein Moment, in dem wir wieder in Dunkelheit und Schlaf reinstolpern. Den wirklichen Unterschied muss man also zwischen Wachsein und Schlafen machen. Kein anderer Unterschied zählt.
Versuche so wach zu sein, dass du nicht wieder einschläfst. Bleibe so aufmerksam, dass die Zukunft dich nicht wieder täuschen darf, so wie du es ihr bisher gestattet hast. Alles Vergangene ist nichts, aber sobald du es zu deiner Zukunft machst, lässt du dich davon täuschen. Jetzt ist es vergangen, jetzt klopft eine andere Zukunft an. Jeden Moment klopft die Zukunft an, aber die Zukunft kann dich nur täuschen, wenn du schläfst. Danach geht sie wieder vorbei. Aber ich will dir mal folgendes verraten: Wenn du hellwach bleibst und der Zukunft nicht gestattest dich in der Gegenwart zu täuschen, verschwindet die Vergangenheit. Dann bleibt keine Erinnerung an sie zurück – keine Spur von ihr. Dann ist man lediglich eine saubere Schiefertafel, ein Himmel ohne alle Wolken, eine Flamme ohne Rauch.

Nichts anderes ist der Zustand der Erleuchtung – so hellwach, dass nurmehr der Zeuge wirklich ist und alles andere nichts als Wellen, die sich auf der Wasseroberfläche kräuseln. Alles geht, alles strömt vorbei. Nur eines verharrt und verharrt und verharrt – und das ist dein Bewusstsein, deine Achtsamkeit.

Aber wir sind der Vergangenheit ins Netz gegangen. Was immer vorbeigeht, bleibt irgendwie in unserem Denken hängen. Es ist vorbei, es ist nicht mehr da, aber irgendwie klammern sich die Gedanken daran.

Ich habe gehört…
 Mulla Nasrudins Nachbar, der über ihm wohnt, brüllt die Treppe hinunter: „Wenn du nicht aufhörst, diese Klarinette zu spielen, dreh ich durch!“
    „Leider zu spät“, erwidert Nasrudin. „Hab schon vor ’ner Stunde aufgehört.“

Die Leute regen sich laufend über Dinge auf, die praktisch schon vorbei und verschwunden sind. Die Vergangenheit macht euch verrückt. Ihr brütet immerfort weiter, ihr kratzt immerzu an den Wunden, ihr könnt einfach nicht damit aufhören, euch selbst zu verletzen. Ihr füttert euer Ego immerzu weiter. Das Vergangene scheint euer Schatz zu sein. Es ist nichts – einfach nur Blasen, Luftblasen. Und dasselbe gilt für die Zukunft; und genau zwischen beidem ist dieser Moment der Gegenwart. Sei hellwach, mach die Augen auf. Auf keinen anderen Unterschied kommt es an. Es kommt nur auf einen Unterschied an, und zwar den, ob du achtsam bist oder unachtsam.

Jetzt kann ich dir sagen: Wenn du achtlos bist, dann ist alles Einbildung, was geschieht. Wenn du achtsam bist, dann ist alles wirklich, was geschieht. Warst du achtsam in der Vergangenheit? Wenn du achtsam warst, war es auch wirklich. Bist du im Augenblick achtsam? Wenn du achtsam bist, dann ist alles wirklich, was vor deinen Augen geschieht. Wirst du morgen achtsam sein? Dann wird alles, was immer geschieht, wirklich sein. Schlag dir also das Wirkliche und das Unwirkliche aus dem Kopf; versuch einfach nur, immerzu achtsamer zu werden.

Wirklichkeit und Unwirklichkeit sind keine Attribute der objektiven Welt, sondern des subjektiven Bewusstseins. Für Buddha ist alles wirklich. Für euch, die ihr tief schlaft und schnarcht, ist alles unwirklich. Stellt es euch einmal so vor: Du schläfst in einem Zimmer, und neben dir sitzt jemand, der aufmerksam ist und wach. Das Zimmer ist dasselbe. Beide sind im selben Zimmer, im selben Raum. Der eine schläft fest, der andere sitzt daneben. Befinden sie sich im selben Raum? Können sie im selben Raum sein? Denn der Schafende schläft und träumt von tausenderlei anderen Räumen, außer von diesem. Hast du je von dem Raum geträumt, in dem du schläfst? Nein, nie. Ein Traum findet immer irgendwo anders statt. Das ist die Funktion eines Traums: dich woandershin zu führen. Der schlafende Mann träumt. Er weiß nichts von diesem Raum und der Wirklichkeit dieses Raums. Er hat seine eigene eingebildete Wirklichkeit. Der wache Mann, der neben ihm sitzt, befindet sich in diesem Raum. Seine Wachsamkeit verleiht ihm eine vollkommen andere Wirklichkeitsqualität.

Buddha geht, wandert von einem Dorf zum anderen und neben ihm geht sein Schüler Anand; beide trennen Welten. Anand schläft tief und fest, er träumt. Buddha ist wach, traumlos. Wer nicht träumt, der stellt sich der Wirklichkeit. Wer träumt, der stellt sich lediglich seinem ¬– unwirklichen – Traum. Was ist das Kriterium für Wirklichkeit, Wachsamkeit?

Je achtsamer du wirst, desto wirklicher wird die Welt. Wirst du noch achtsamer, wird die Welt noch wirklicher. Wenn du auf dem Gipfel deiner Achtsamkeit stehst, ist die Welt so strahlend wirklich, dass man sie kaum noch stofflich nennen kann. Man muss sie Gott nennen – es geht gar nicht anders. Sie ist so strahlend wirklich, sie ist so ewig wirklich, dass man sagen muss, dass die Zeit aufgehört hat. Die Wirklichkeit ist weder vergangen, noch gegenwärtig, noch zukünftig: Sie ist einfach nur. Sie ist hierjetzt. Jetzt gehört sie nicht mehr der Zeit an. Genau genommen ist das Wörtchen jetzt fehl am Platz. Es sollte nur den Erleuchteten vorbehalten sein – denn euer jetzt gibt es einfach nicht.

Was nennt ihr denn jetzt? Kaum habt ihr das jetzt ausgesprochen, ist es bereits vorbei. Oder, wenn ihr jetzt sagt, ehe es vorbei ist, dann ist es in der Zukunft. Ihr schlaft so fest, dass es, wenn ihr es endlich eingeholt habt, längst wieder vorbei ist. Es ist sehr glitschig. Euer Jetzt trifft nur zu, wenn ihr so wachsam seid, dass sich in euch kein einziger Traum, kein einziger Gedanke mehr regt, keine Welle mehr kräuselt. Dann seid ihr völlig präsent. Wenn ihr präsent seid, ist die Wirklichkeit präsent. Es ist eure Präsenz, was die Präsenz der Wirklichkeit offenbart. Dann seid ihr im Jetzt und das Jetzt währt ewig. Dann kommt und geht es nie mehr, sondern ist einfach nur da. Dann kommt nichts mehr und geht nichts mehr.

Bodhidharma, einer von Buddhas großen Schülern, pflegte zu sagen, dass Buddha nie existiert habe; er sei nie geboren worden, nie auf Erden gewandelt, habe nie gesprochen. Einer von seinen Schülern warf ihm vor, er scheine Unsinn zu reden: „Buddha wurde in Kapilvastu als Sohn eines gewissen Königs, einer gewissen Frau geboren und hat der Welt entsagt. Das sind historische Tatsachen, warum leugnest du sie also? Und bist du nicht selber ein Anhänger Buddhas? Wenn er nie geboren wurde und nie auf Erden gewandelt ist, wessen Anhänger bist du dann?“

Bodhidharma erwiderte: „Ich folge dem, der nie geboren wurde, nie auf Erden wandelte, nie ein einziges Wort gesagt hat, nie gestorben ist. Dem folge ich. Der ist der wahre Buddha. Und alles andere, was du Geschichte nennst, ist nichts anderes als Traumgespinst verschlafener Leute.“

Nun, dies gilt es zu verstehen. Ich spreche zu euch; das ist eine Tatsache. Ich spreche zu euch, ihr hört mir zu und dennoch hat Bodhidharma vollkommen recht: Es ist dennoch ein Traum, da ihr nicht wach seid. Wäret ihr wach, würdet ihr erkennen, dass ich kein einziges Wort gesprochen habe. Dann würdet ihr eine völlig andere Wirklichkeit erkennen, in der keine Worte gesprochen werden, wo Schweigen herrscht, wo man der wortlosen Wirklichkeit begegnet. Wenn ihr wach seid, werdet ihr mich direkt erkennen und werdet ihr nichts als Stille sehen – aber das wird auf eure Stille ankommen, das wird auf euer Erwachen ankommen. Dann werdet ihr sehen, dass dieser Mensch, der da vor euch sitzt, nicht der wirkliche Mensch ist. Dann wird euch etwas anderes, etwas vollkommen anderes, diametral Entgegengesetztes offenbart werden.

Das ist damit gemeint, wenn wir Buddha „Bhagwan“ nennen. Das ist keine Wirklichkeit für alle, sondern nur für diejenigen, die wachsam geworden sind – die erkennen. Das ist damit gemeint, wenn wir Jesus „Gottes Sohn“ nennen. Es wurde deshalb nicht allen offenbart, weil jeder wusste, dass dieser Mann kein anderer war als der Sohn von Josef dem Zimmermann. Und er erhob nur absurde Ansprüche – dass er der Sohn Gottes sei! Aber alle, die ihn liebten und alle, deren Augen weit offen für die Wirklichkeit waren, wurden gewahr, dass der Sohn von Josef dem Zimmermann lediglich der Welt der Unwirklichkeit, der Welt der Träume vorgespiegelt wurde – er in Wirklichkeit aber der Sohn Gottes ist. Doch ihr könnt jene Wirklichkeit nur in dem Maße erkennen, wie ihr selber wirklich geworden seid. Mehr als das ist euch nicht gegeben.

Tatsachen sind keine Wahrheiten. Etwas mag eine Tatsache und dennoch unwahr sein, und etwas mag zwar wahr, aber kein Fakt sein. Das Wort „Fakt“ stammt von dem lateinischen Verb facere ab – tun. Das ist herrlich: Das Wort Fakt trifft also nur auf etwas zu, das getan werden kann. Aber alles, was wir tun, ist nichts weiter als Träumen. Ihr könnt auch in euren Träumen mancherlei tun – das sind Fakten. Eure Träume ergreifen so sehr Besitz von euch, dass ihr alle schon einmal erlebt habt, wie ihr aus einem Alptraum aufgewacht seid, aber immer noch weiter zittert, weiter schwitzt. Die Angst hält noch immer an, euer Herz schlägt wie wild. Jetzt wisst ihr zwar, dass es ein Traum, dass es ja nur ein Alptraum war, dass ihr euch keine Sorgen machen müsst und dennoch zittert ihr. Der Traum ist euch so in die Glieder gefahren, dass er bis in eure Wirklichkeit – euren Körper, eure Vorstellungen – vorgestoßen ist. Aber wir leben andauernd in zweierlei Schlaf: den einen nachts, den wir Schlaf nennen, und den anderen tagsüber, den wir Wachzustand nennen – man kann ihn genauso gut Wachtraum nennen Unsere Augen sind offen, doch solange das Denken nicht völlig stillsteht, bleibt euer wahres Auge geschlossen.

„Wie kann ich den Unterschied zwischen Erfahrungen aus früheren Leben und Illusionen, Wahn erkennen?“

Das ist weder möglich noch nötig, und man sollte seine Zeit nicht mit Dummheiten vertun. Vergangenes ist vergangen; das Vergangene ist bereits illusionär. Nur eines bleibt, und zwar dein Zeugesein. Pack es am Kragen, verliere seine Spur nicht aus den Augen. Es wird nicht leicht sein es zu erwischen, wieder und wieder wirst du seine Spur verlieren, aber erinnere dich immer wieder daran, ihm beizukommen. 
Viele Male wirst du dein Ziel verfehlen, viele Male wirst du es flüchtig erblicken. Doch mit der Zeit wird es immer wahrscheinlicher werden. Und wenn du es schaffst, auch nur ein paar Minuten lang wachsam zu bleiben, wird ein neuer Mensch aus dir werden. Du wirst ein vollkommen anderer sein. Das Alte wird abgefallen sein und dann wirst du dir keine Sorgen mehr um Vergangenheit oder Zukunft oder Gegenwart machen. Du wirst ganz einfach in einer anderen Dimension leben, der Dimension der Ewigkeit – wo nichts vorbeigeht, nichts geboren wird, nichts stirbt, alles bleibt.
 

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